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Teuer erkaufte Umkehrung

Osman Engin liest heute in der Werkstatt 3 aus seinem neuen Buch, der Geschichtensammlung „Oberkanakengeil“  ■ Von Miltiadis Oulios

Der Klappentext lügt. Osman Engins zweite Buchveröffentlichung, der Erzählband Oberkanakengeil, liefert mitnichten Geschichten „aus dem multikulturellen Durcheinander“. Im Gegenteil: Der deutsch-türkische Slapstick-Hero hat den Pass mit dem Pleitegeier bekommen. Doch weil er immer noch damit rechnen muss, dass „Gleitkultur“-Fanatiker und linksliberales Establishment nach jeder Differenz Ausschau halten, um ihren Multi-Kulti-Rassismus zu füttern und den Kanaken als „aufregend anders“ zu kennzeichnen, funktioniert Engins Humor vielleicht ein weiteres Mal.

Wen der integrationswütige Ich-Erzähler Osman in Engins Odyssee Kanaken-Ghandi genervt hat, weil er grenzenloses Verständnis für jede Gemeinheit deutscher Behörden, Kollegen und Punks aufbrachte, darf jetzt wahnsinnig werden. In Oberkanakengeil will das Alter Ego Engins endlich nur noch ein richtiger Deutscher sein. Er jubelt, dass ihn der BND abhört, weil ihm ja sonst keiner zuhört. Er hasst immer noch die Hip-Hop-Musik seines linksradikalen Sohnes. Als „Osman Wallraff“ geht er „ganz, ganz unten“ auf Recherchetour in eine Skinhead-Kneipe. Und als Pöbelopfer in der Straßenbahn? „Vor einiger Zeit hat das deutsche Volk auch geschwiegen und weggeschaut. Warum sollten sie diese Grundhaltung plötzlich ändern?! An dieser Standhaftigkeit erkennt man die Charakterstärke der Deutschen.“

Doch Osman Engin blamiert zum Glück nicht nur seine Familie, sondern auch das Multi-Kulti-Gesülze. Denn Engin ist „drin“. Hier inszeniert sich niemand mehr als eingewanderter „Fremdländer“, wie es die Migranten-Schriftsteller der siebziger und achtziger Jahre, allen voran Rafik Shami, durche-xerzierten. Die Illusion, ein Blick „von außen“ sei möglich, bediente nur das Bedürfnis nach Exotik. „Ich habe kaum Schwierigkeiten mit unseren ausländischen Mitbürgern“, erklärt Osi seinem Vorarbeiter, „ich verstehe mich mit einigen von denen wesentlich besser als mit meinen eigenen Landsleuten.“ „Mit was für Landsleuten denn?!“ „Ja mit Ihnen, Meister Viehtreiber. Und mit Sepp natürlich.“ Die Satire gilt hier einem Rassimus, wie er in Almanya häufig verkürzt verstanden wird: als rein soziales Spaltungsverhältnis.

Dennoch scheint diese implizite Kritik am Mehrheitsrassismus nur möglich zu sein, wenn sie von einer Figur vorgetragen wird, die man gemeinhin als „Deppen“ bezeichnen würde. Der etwas trottelige, schrullige Kanake, der auch mal gemein sein darf, solang er witzig ist und auch „seine“ Landsleute nicht verschont. Das ist langweilig wie Kaya Yanar oder Erkan und Stefan. Auch Engin erkauft sich die Umkehrung der Definitionsmacht damit, dass er seinen Helden unbeholfen und unfreiwillig subversiv erscheinen lässt. Warum müssen die Kanaken dem deutschen Gemüt immer eine Tür offen lassen, es glauben lassen, im Zweifelsfall seien sie schon zu zähmen?

Obwohl Yanar oder Engin offensichtlich rassistische Klischees bedienen, ja benutzen müssen, um ebensolche auch gegen „Weißbrote“ wenden zu können, zeichnet sich interessanterweise eine schleichende Radikalisierung ab. In seinem zweiten Schlag traut sich der Satiriker, derber zuzulangen: En-gins sechsjährige Tochter lernt, wie sich Vermieter aufführen. „Tür aufmachen, genervt angucken und Tür laut zuknallen“, sagt Hatice, „man kommt sich dabei einfach oberkanakengeil vor! Papa, darf ich den nächsten auch anspucken und treten?“

Letztens saß ich mit einem Kanaken-Kollegen im Auto und er erzählte mir, Harald Schmidt sei „schon cool“. Diesen phlegmatischen, häufig genug rassistischen Witzverwerter finden eine ganze Reihe Kanaksters „in Ordnung“, häufig genug die „Angekommenen“. Bei Schmidt darf man sich „oben“ fühlen. Engins „Held“ dagegen erscheint zwar sympathisch, aber im Endeffekt lacht man immer über ihn. Ein Identifikationsangebot oder gar „cool“ ist er nicht. Doch keine Sorge – auch Schmidt hat mal als Fernseh-Doofy angefangen. Hatice – go for it!

heute, 20 Uhr, Werkstatt 3

Osman Engin, Oberkanakengeil, Espresso Verlag 2001, 157 S., 25 Mark

Osman Engin, Kanaken-Ghandi, dtv 2001, 286 S., 19,90 Mark

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