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Magier des Mischpults

Lee Perry und Mad Professor verwandeln die Fabrik in einen Hallraum  ■ Von Nikola Duric

Es gibt drei außergewöhnliche Gestalten in der Musikgeschichte, die nicht von dieser Welt zu stammen scheinen. Sun Ra transportierte Jazz aus dem Weltall auf die Erde, George Clinton holte den Funk vom Himmel. Lee Perry verließ seine Stelle an der Seite des Creators, um den Menschen die Räume zu öffnen, den Delay-Effekt in der Musik zu platzieren und sich mit Hall Gehör zu verschaffen. Der 1939 in Hanover, Jamaika, geborene Lee Perry gilt als einer der Miterfinder der Reggae-Spielart Dub. Dub-Musik ist die großzügige, verschwenderische und elegante Interpretation von Single-A-Seiten. Dub ist die Blaupause des Remixes und für elektronische Musik und Techno wichtiger, als es Kraftwerk je waren. Dub ist ein Zufallsprodukt und am besten anhand der Geschichte von Mischpulten in Jamaika zu erzählen.

Nachdem Coxsone Dodd vier Jahre lang in fremden Studios produzieren musste, gründete er 1965 sein eigenes, Jamaika Recording and Publishing Studio in Kingston, das später unter dem Namen Studio One legendär werden sollte. Sein Mischpult wurde erst 1965 auf zwei Spuren erweitert: Sid Bruckner, sein Cousin, installierte die Elektrik und wurde kurz darauf Toningenieur des Studio One. Dort arbeitete neben Perry auch King Tubby. Perry erinnert sich an eine Aufnahme-Session: „Der ganze Kram mit Bässen und Schlagzeug, das fing alles durch einen Zufall an, irgend so ein Typ singt falsch, und wenn man sich das nochmal anhören will, lässt man alles weg, außer dem Schlagzeug und ein bisschen Bass, und das klingt verwirrend und gefällt den Leuten.“ Erst mit der zweiten Tonspur wurde es möglich, den Rhythm-Track vom Gesang zu trennen. Das hatte auch ökonomische Vorteile: Die Studioband musste nur einmal den Song einspielen und der Techniker konnte diese Spur später beliebig oft mit den Stimmen anderer Sänger kombinieren oder andere Effekte hinzufügen. Anstatt eines weiteren Songs kamen so andere Versionen auf die Rückseite der Singles. Der Remix war geboren. Die instrumentaleren B-Seiten eigneten sich auch hervorragend, um Ankündigungstexte und Kommentare der MCs zu untermalen und nach kurzer Zeit wurden diese B-Seiten zu den Erkennungsmerkmalen jedes Sound-Systems.

Nachdem Perry in den 50ern als Scout und Aufnahmeleiter für verschiedene Studios gearbeitet hatte, begann er auch selbst zu singen. Sein Stil war bluesig und deklamatorisch. Seine Texte handelten von sozialen Problemen und eigenen Rechten, neben sexuellen Anspielungen kommentierte er häufig andere Reggae-Künstler. 1966 verließ er Studio One und gründete sein eigenes Label, Upsetter. Es folgte ein britischer Top-5-Erfolg mit dem Spaghetti-Western-Stück „Return of Django“. 1974 baute er sein Studio Black Ark und feierte mit der Produktion „Hurt so good“ von Susan Cadogan seinen zweiten Charts-Hit. Der Erfolg brachte auch persönliche Probleme mit sich. 1980 legte er seine Studio in Flammen und verließ Jamaika in Richtung England. Nach einer Phase in Holland zog er 1990 in die Schweiz, etablierte dort ein neues Management und heiratete eine millionenschwere Eidgenossin. Während seiner Zeit in England lernte er den Mad Professor kennen. Der startete 1979 mit einem Vier-Spur Mischpult sein eigenes Label Ariwa, das nach dem Umzug nach West Norwood zum größten Studio-Komplex in afrobritischer Hand wurde. Hierzulande müsste seine Produktion von Maka Bs Sign of the Times-Platte und sein Komplettremix von Massive Attacks Protection-Album am bekanntesten sein. Der Professor arbeitet seit den 80ern immer wieder mit dem „Madman“ Perry zusammen. Sie begleiten sich auf Konzertreisen, und während Lee Perry meist den MC gibt, bearbeitet der Professor die Echo-Effekte am Mischpult.

Unzählige Anekdoten berichten über die Alufolie, die Lee Perry unter seinem, mit Spiegeln versehenem Hut trägt, um böse Geister und außerirdische Mächte fernzuhalten. Mit Wünschelrute und Zaubersprüchen verwandelt Perry so noch heute Auftrittsorte in magische Zonen: „Wenn ich in die Hände klatsche, erscheinen mir Duppy-Geister im ganzen Land, von Küste zu Küste ... Ich bin der Geist in der Maschine, Computer-Mensch, der mächtige Upsetter. Der wahnsinnige Perry. Meister des Blitzes, Brecher der Verdammnis. Der schwarze Fu Manchu. Bum! Bum! Bum! Dies ist ein musikalischer Fluch. Gesegnet seien die Armen, verflucht seien die Reichen. Hic, Hoc, Hac, Yak, Yak.“

Dienstag, 21 Uhr, Fabrik

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