piwik no script img

„Tut mir leid, mein Hund ist Rassist“

■ Theater von jugendlichen Flüchtlingen: Das Stück 7 Leben der Gruppe Hajusom

Abgänge gibt es für die Darsteller der Hamburger Gruppe Hajusom nicht. Davon haben sie schon in der Wirklichkeit genug. In ihrem Stück 7 Leben bleiben alle auf der Bühne, auch dann, wenn sie gerade nichts zu tun haben. Stühle zum Draufsetzen stehen am Rand der Bühne bereit. Neben einem riesigen aufblasbaren und beweglichen Gummifloß dienen sie auch als mobiler Teil des Bühnenbilds, beispielsweise in einer choreographisch verdichteten Szene um Abschiebungen. Verteilt auf der Bühne sitzt jeder auf seinem Platz und wartet auf den „Bescheid“. Einzig hier verlassen die Jugendlichen nach einem „Nein“ zwischenzeitlich die Bühne.

Seit drei Jahren besteht die Gruppe nun schon, die erste Produktion Hajusom ist inzwischen zu ihrem Namen geworden, das Stück mehrfach modifiziert worden. Heute besteht Hajusom aus 15 jugendlichen Flüchtlingen, den Regisseurinnen Dorothea Reinicke und Ella Huck, Stefan Roller kam im letzten Jahr als Choreograph, Claude Jansen als Musikdramaturgin dazu. Von den Akteuren sind allerdings wenige von Anfang an dabei. Viele mussten umziehen, sind abgetaucht oder abgeschoben worden.

In 7 Leben erzählen einige von ihnen ihre Geschichte: Entlang der drei Stationen Herkunftsland, Flucht und Deutschland entsteht so ein aus Biographien zusammengesetztes Bild von unterschiedlichen Gründen, aus Afghanistan, Sierra Leone, Angola, Burkina Faso oder Äthiopien nach Deutschland zu kommen und davon, warum sie hier bleiben wollen. Oder, wie eins der Mädchen wortreich und trotzig verkündet, nach „Amerika“, denn da sei es besser als hier. Doch auch die USA bekommen inzwischen ihr Fett weg. Denn obwohl Afghanis-tan zerbombt ist, haben, weil die Taliban abdanken mussten, auch die afghanischen Jugendlichen wieder Grund zu der Furcht, dorthin zurückgeschickt zu werden.

In diesem Jahr war Hajusom zum Theatertreffen der Berliner Festspiele eingeladen. Dort wurde die Truppe von anderen Theatermachern teilweise scharf angegriffen für ihr Stück. 7 Leben drücke zu sehr auf die Tränendrüse, und unverantwortlich sei es, die „unmündigen“ Darsteller zum Ausstellen ihrer selbst zu zwingen. Die jedoch beriefen sich darauf, freiwillig von sich zu erzählen und in die Öffentlichkeit zu tragen, was sonst verschwiegen wird. Die Jury dagegen sprach Hajusom den Bundespreis der Festspiele zu.

Und 7 Leben ist tatsächlich viel mehr als biographische Texte. Immer wieder weiß die Inszenierung das Erschütternde in Sarkasmus, Humor und Power zu verwandeln. Es fallen Sprüche wie: „Der Hund einer Oma hat mich angebellt. Da sagte die Oma: ,Tut mir leid, mein Hund ist Rassist.'“ Vor allem aber die Musik – von Michael Jackson über HipHop bis Rai – und die chorischen Tanzeinlagen der Darsteller verhindern, dass sie als pure Opfer dastehen. Dass sie das allerdings auch sind, muss schon aushalten, wer sich 7 Leben ansieht, der Aufführung ist es nicht anzulasten.

Christiane Müller-Lobeck

Do–So, je 19 Uhr, Kampnagel (Do + Fr bereits ausverkauft)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen