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Nach der Explosion

Überlagerte Bildschichten: Ein Buchprojekt des Künstlers Christopher Wool und des Filmemachers Harmony Korine

Am 12. September 2001 öffnete das Baltimore Museum of Art wie gewohnt. Geschockt blieben einige Besucher vor einem großen Gemälde des New Yorker Künstlers Christopher Wool stehen, mit dem in Blockbuchstaben geschriebenen Wort „Terrorist“. Einige beklagten sich bei der Direktion. Doch das Gemälde ohne Titel war nicht neu, es hing schon seit 1990 an seinem Platz.

Christopher Wool arbeitet, obwohl er in seinen Bildern oft nahe an die völlige Abstraktion kommt, mit Motiven der Populärkultur. Das können visuelle Zitate sein, Blumen zum Beispiel oder Rasterpunkte; und es können emotional oder politisch aufgeladene Worte oder Sätze sein, die er in Großbuchstaben über die Bildfläche schreibt. Bei der Herstellung seiner Bilder bringt er dann auf leerem oder bedrucktem Untergrund schwarze oder weiße Farbe auf; er spritzt, rollt, bürstet oder malt, manchmal sind auch milchige Pastelltönen dabei. Danach überarbeitet er das Bild weiter, um es als vielschichtiges Ensemble fertig zu stellen. Was gemalt erscheint, kann dann gedruckt, was wie gedruckt erscheint, tatsächlich gemalt sein. Wegen seiner Nähe zur Abstraktion gibt Wool allerdings kaum Hinweise und Hilfen, um die technische und ikonografische Motivation der Bildschichten zu entschlüsseln.

Es wundert also nicht, dass sein letztes Projekt, das er zusammen mit dem Filmemacher Harmony Korine im Verlag des Berliner Buchgestalters Hans Werner Holzwarth veröffentlicht hat, den Betrachter zunächst desorientiert lässt. Er hält ein schönes, schlicht aufgemachtes Buch in Händen, das eine unbestimmte Zahl von Schwarzweißdrucken enthält – sonst nichts. Woher die Bilder stammen, mit welchen Techniken die beiden Künstler arbeiten und worin ihre Zusammenarbeit besteht, bleibt im Ungewissen.

Dass Fotografien die Grundlage bilden, ist noch zu erkennen. Sie werden übermalt und überzeichnet, wie etwa das Foto einer Frau und eines Mannes, das Korine und/oder Wool mit ein paar Strichen in einen freundlichen Comic verwandeln, um es auf den folgenden Seiten in unterschiedlich schattierte Grauflächen aufzulösen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, die Presseinformation auf den Einband zu drucken. Denn hier steht, dass die Fotografien von Harmony Korine stammen, dass jedes Bild mehrfach zwischen beiden Künstlern hin und her wanderte und so in einem Prozess des Malens, Überdruckens und Kopierens zu seiner Form fand.

Dass der 1955 geborene Maler und das zwanzig Jahre jüngere Wunderkind – Autor von „Kids“, dem Kinoerfolg von Larry Clark – zusammenfanden, hat seine Richtigkeit. Was beide eint, ist Methode. Denn egal, ob er einen Film wie „Gummo“ dreht oder unter dem Namen SSAB Songs mit seinem Freund Brian Degraw eine Platte macht – auch Korine mischt scheinbar wenig verträgliche Elemente. Wie ein Chemiker schaut er dann, was nach der Explosion entstanden ist. Noch näher an Wool rückt Korine, wenn sein schizophrener Held Julien in „Julien Donkey-Boy“ durch die Straßen von New York wandert und mit sich selbst spricht, wobei er die gleichen Sätze immer und immer wiederholt, bis sie sich in fast unverständlichem Silbenstakkato überlagern. Bleibt nur noch, diese nahezu abstrakte Toncollage in die Bildmontage zu überführen. BRIGITTE WERNEBURG

Harmony Korine/Christopher Wool: „Pass The Bitch Chicken“. Broschur, Holzwarth-Publications, Berlin 2001, 252 Sw-Abb., 30,68 €

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