: Gesunden auf dem Kiez
Im Bierseeheil und Schnapsbad St. Pauli kann man sich mit wenig Geld und einem netten Kurschatten herrlich entspannen ■ Alexandra Frank
Kurort, Kurschatten, Kurbetriebe... Erinnerungen an den letzten Urlaub im Nordseebad werden wach. Doch gibt es im Kurort St. Pauli weder auffallend bekömmliche Luft, noch ist der Aufenthalt dort in der Regel besonders gesundheitsfördernd. Ein Scherz soll die Kiez-Kur trotzdem nicht sein.
Was macht den Ortsteil aus? „In St. Pauli gibt es viel Dreck, viel Tourismus, aber wenig Geld“, resümiert Holger Hanisch, Gründungsmitglied des „Kurverwaltung St. Pauli e.V.“ Deshalb sei die Idee entstanden, Kurbetriebe zu gewinnen und eine Kurtaxe einzuführen, um von dem Gewinn soziale und kulturelle Einrichtungen zu unterstützen. Dadurch werden wohl in diesem Jahr rund 13.000 Mark zusammenkommen. „Aber wir wollen nicht nur kassieren, sondern unseren Gästen auch etwas geben“, erläutert Kuratorium-Mitglied Ilona Kiss. Im Gegensatz zu herkömmlichen Kurorten sei die Kurtaxe in St. Pauli nämlich freiwillig und die Gäste können sogar noch ein Geschäft dabei machen.
Durchaus löblich, denn im Gegensatz zu „richtigen“ Bädern und Kurorten, wo man nur während der Ferien verweilt, hält man in St. Pauli dauerhaft etwas in den eigenen Händen: Kurtaxenheft Nr. 7, das man ab nächster Woche im Eintausch gegen 10 Mark Kurgebür erhält, enthält Gutscheine für die nunmehr 48 Kurbetriebe. Und wie bei einem echten Kurort kann man auch hier rosige Wangen oder gar rote Ohren bekommen, beispielsweise bei einem preiswerten Besuch im Erotic Art Museum, beim Einkauf im „Sexy Heaven“ oder nach einem Freibier in einer der zahlreichen Kneipen und Diskos. Auch ängstliche Touristen, die sich nicht allein durch St. Paulis Straßen und erst recht nicht in diverse Etablissements trauen, bleibt der Stadtteil durch die Kurverwaltung nun nicht mehr verschlossen, denn was gibt es Schöneres, als mit einem Kurschatten den Tag oder die Nacht zu verbringen? Männlich oder weiblich, auf deutsch, englisch, französisch, plattdeutsch oder hessisch, 15 Kurschatten stehen für Kurschattenführungen zur Verfügung. Eintauchen kann man in die Welt von Matrosenmützen und Netzstrümpfen, Lack und Leder, Tingeltangel und Tabledance und dabei aus den Kurquellen schöpfen. „Viele Touristen sind ganz erstaunt, wenn wir ihnen zeigen, dass St. Pauli nicht nur Vergnügungsviertel, sondern auch Wohngebiet ist“, berichtet Kurschatten Uta Mangold, die sich auf Theater- und Filmtouren spezialisiert hat. Jeden Samstagabend um 20 Uhr kann man sich spontan einer „Kur auf dem Kiez“ anschließen. „Japanergruppen hatten wir noch nicht“, bemerkt Kiss. Sicherlich eine Besonderheit von „Deutschlands beliebtestem Kurort“. Wer es lieber intimer in Kleingruppen mag, meldet sich besser zu einer Individualtour an. Diese wäre keine „Bildungsfrontalveranstaltung“, wie Kiss versichert, sondern durchaus interaktiv. Kurschatten Günter Pingel berichtet, dass es dabei höchstens anfänglich steif zuginge, aber erfahrungsgemäß schnell locker-fröhlich werde. „Dann gehen wir halt in eine Kondomerie und schon ist die Hemmschwelle geplatzt“, erzählt er. Spuren verwischen kann man am nächsten Morgen in der Esso Tankstelle, die als ausgewiesener Kurbetrieb, Kurtaxenheftbesitzern Rabatt auf die Autowäsche gewährt.
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