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Alles Bewegliche verschwindet

■ Im Ausstellungsraum des Stadtteilarchivs Ottensen: Stefanie Ritters „Der lange Augenblick – Obscure Porträts aus Ottensen“

Ein schmaler Gang in der Zeißstraße führt zum Stadtteilarchiv Ottensen. In den Hinterhöfen nutzt und bewahrt sie unter anderem die erst 1985 aufgegebene Ottensener Drahtstifte-Fabrik Feldtmann. Noch einen Hinterhof weiter ist fast New Yorker Loftatmosphäre anzutreffen: Aus der Ruine des Kesselhauses einer Dampfsägerei haben ABM-Kräfte unter Leitung des Büros Architektonik von Kieseritzky einen hellen, attraktiven Ausstellungs- und Veranstaltungsraum gewonnen.

In der vierten Ausstellung seit dessen Bestehen sind jetzt fotografische Reflektionen zu Vergänglichkeit und Überdauern zu sehen: Stefanie Ritters Bilder aus der Camera obscura. Auf zwei Ebenen zeigt die Hamburger Künstlerin und Medienpädagogin Einzel- und Gruppenporträts mit jener ältesten fotografischen Technik, die aufgrund des Verzichts auf hochgezüchtete Optiken extrem lange Belichtungszeiten erfordert.

So verschwinden in diesen langen Augenblicken die vorbeifahrenden lästigen Autos aus dem Abbild einer Straßenecke, in Gruppen scheinen die Nervöseren sich flatterhaft zu vergeistigen, und eine alte Dame wird in verwischter Unschärfe kaum mehr wahrnehmbares Detail ihrer Wohnung, von der sich nur noch die scharf gezeichnete Tapete einprägt.

Da das Licht in der dunklen Kis-te die fotoempfindliche Schicht schwärzt, wird auch in der Camera obscura normalerweise das Helle dunkel, und manche der langen Sitzungen werden auch hier in diesem Negativ-Zustand gezeigt. Um da-raus ein gewohntes Schwarz-Weiß-Foto zu machen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wird ganz traditionell das Bild mittels einer Kontaktkopie auf dasselbe lichtempfindliche Material in ein Positiv verwandelt. Oder der ältesten mechanischen Abbildtechnik wird mit elektronischen Mitteln zu Leibe gerückt, das Bild eingescannt. Dann sind im Tintenstrahlausdruck auch jene Großformate möglich, die Stefanie Ritter für die Hälfte der Arbeiten gewählt hat.

Und da es ihr wesentlich um den Effekt der langen Aufnahmedauer geht, ist bei der Präsentation ein fotomeisterlicher Purismus nicht nötig. Der bei egal welchem bildgebenden Medium übliche Zeiteffekt ist allerdings hier trotz der viermonatigen Ausstellungsdauer nicht erkennbar: Die Tatsache, dass auch das Bild irgendwann durch das Licht, das es erzeugt hat, wieder ausbleicht und nach Jahrzehnten – wie manche der belichteten Personen – selbst verschwindet.

Hajo Schiff

 Mo–Do 9.30–13 + 14–16.30 Uhr, Do bis 19 Uhr, Zeißstr. 28 (2. Hinterhof); bis 4.4.02

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