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Die Biertisch-Designer

Der ganz alltägliche Rassismus wird von den Eliten geprägt. Die Fremdenfeindlichkeit lässt sich als kollektive Neurose bezeichen: Nicht die neoliberale Plünderung des Sozialsystems wird bekämpft, sondern die Zuwanderung von Menschen

Der Elite-Diskurs unterfüttert den Biertisch-Rassismus und formiert ihn Zuwanderer werden zu Sündenböcken des kollektiven Unbehagens

von DIETMAR LARCHER

Es gehört in unserer Kultur zum Alltagswissen, dass der Biertisch jener Ort ist, wo eine biertrinkende Männerrunde, wenn sie genug Gerstensaft hinter die Binde gegossen hat, zwei merkwürdige Veränderungen in Richtung Inkontinenz erfährt: Sie kann das Wasser nicht mehr halten und sie kann die Wörter nicht mehr halten. Beides drängt mit aller Macht aus der Tiefe des Bauches nach außen, und für beides ist das Bier verantwortlich. Das erste Phänomen braucht uns hier nicht zu interessieren. Wohl aber müssen wir der verbalen Inkontinenz unsere Aufmerksamkeit widmen. Der Biertisch ist eine Einrichtung, deren Funktion man besser versteht, wenn man unser gesellschaftliches Leben als gespalten begreift. Der Philosoph Jürgen Habermas bezeichnet das gesellschaftliche Leben als in System und Lebenswelt gespalten. Die Gespräche am Biertisch versöhnen die unvereinbaren Pole – aber nur scheinbar.

Die Reaktion vieler Menschen auf die Globalisierung und das neoliberale Paradigma der Politik ist von Angst geprägt. Und Angst fördert neurotisches Verhalten. Populistische Politiker propagieren Pseudolösungen: Nicht die Ursachen der Angst werden bearbeitet, sondern Feindbilder konstruiert. Nicht die neoliberale Plünderung des Sozialsystems wird bekämpft, sondern die Zuwanderung von Menschen aus jenen vier Fünfteln der Welt, die für das kapitalistische Zentrum nur „Peripherie“ sind.

Die derzeit grassierende Fremdenfeindlichkeit lässt sich als kollektive Neurose beschreiben. Es gibt einen Grundkonflikt, der verdrängt wird, nämlich die Opposition von ökonomischem System und privater Lebenswelt. Die wird in folgenden Gegensatzpaaren deutlich: Das Wirtschaftswachstum braucht Zuwanderung, aber Zuwanderung stört die monokulturelle Wärme und Behaglichkeit der Gemeinschaft. Das soziale Netz, und damit das Funktionieren des Systems, kann nur durch Zuwanderung finanziert werden, aber Zuwanderung gefährdet die psychosoziale Sicherheit des Einzelnen. Das Wirtschaftssystem lebt von Konkurrenz aller gegen alle, die Lebenswelt jedoch basiert auf der Solidarität der Gemeinschaft. Für den Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital sind Grenzen Hindernisse, aber Heimat braucht enge Grenzen. Auf Seiten des Systems dominiert das Progressionsinteresse, auf Seiten der Lebenswelt das Regressionsinteresse.

An diesem unausgetragenen Konflikt zwischen System und Lebenswelt setzt der Biertischdiskurs ein und versucht, den Riss in neurotischer Weise zu heilen. Das Symptom ist die in Zentraleuropa grassierende Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit. Zugewanderte Menschen werden zu Sündenböcken für das kollektive Unbehagen gemacht. An ihnen darf man sich abreagieren.

Doch die fremdenfeindlichen und rassistischen Symptome werden am Biertisch nur verbreitet, entstehen tun sie woanders. Die Folgen dieser neurotischen Symptombildung sind fatal. Sie führen zur Lagermentalität, in der die Menschenrechte abgeschafft werden – nicht nur für die Fremden. Für die Law-and-Order-Fraktion ist Bin Laden ein Gottesgeschenk, denn nun hat sie eine Legitimation zur Hand, um all die ungeliebten bürgerlichen Freiheiten abzuschaffen, die einst den Herrschenden abgetrotzt wurden. Und neurotisierte Bürger klatschen dazu Beifall.

Doch die Frage ist, wie die Fremdenfeindlichkeit entsteht und warum sie gerade so und nicht anders erscheint. Aufschlussreich dazu sind die Ergebnisse eines Projekts, das unter Leitung von Teun A. van Dijk schon vor zehn Jahren die Reproduktion des Rassismus in verschiedenen Diskurs- und Kommunikationstypen untersuchte. Seine Ergebnisse wurden inzwischen durch ähnliche Studien in Deutschland und Österreich bestätigt. Sie sind bis heute gültig.

Die zentrale These dieser Untersuchung lautet: Der Diskurs spielt eine wesentliche Rolle beim Entstehen, der Verbreitung, der Rechtfertigung und der Akzeptanz fremdenfeindlichen und rassistischen Denkens in der Gesellschaft. Fremdenfeindliche Diskurse sind keineswegs harmlose sprachliche Entgleisungen. Allein wegen ihrer Häufigkeit und wegen ihrer gebetsmühlenartigen Wiederholung immer gleicher Muster schreiben sie sich in das kollektive Bewusstsein ein. Bei der Formierung des fremdenfeindlichen Diskurses spielen vor allem „Eliten“, Regierung, Parlament, einzelne Politiker, führende Wirtschaftstreibende und einflussreiche Wissenschaftler eine wichtige Rolle. Schon allein deshalb, da sie öffentliche Texte und Reden am stärksten steuern und kontrollieren, priviligierten Zugang zu Massenmedien haben und Themen des öffentlichen Diskurses und der Meinungsbildung bestimmen oder ändern können. Moderne Eliten, so van Dijk und sein Team, steuern den Diskurs raffiniert und manipulativ. Sie sind cleverer als die alten Rassisten, die immer noch mit dem genetischen Potenzial argumentieren.

Das holländische Forschungsteam ist zur Einsicht gelangt, dass der neue Rassismus des Alltags, der Biertisch-Rassismus der kleinen Leute also, viel weniger spontan und authentisch ist, als gemeinhin angenommen wird. Der Elite-Diskurs liefert dem Biertisch-Rassismus häufig den Anstoß und das Rohmaterial. Dieser Elite-Diskurs, dessen Fertigbauteile zumeist aus indirekten, subtilen und scheinbar toleranten Formulierungen besteht, beeinflusst den Kleine-Leute-Diskurs nachhaltig und produziert täglich von neuem die Bereitschaft und den Willen, sich an der Herrschaft über die Minderheit zu beteiligen.

Vor allem Massenmedien spielen bei der Verbreitung des Elite-Rassismus eine entscheidende Rolle. Selbst wenn Journalisten nach bestem Wissen und Gewissen „objektiv“ über die Regierungspolitik berichten, müssen sie sich doch auf Quellen beziehen, die sich außerhalb ihres Einflusses befinden: auf Polizeiberichte, Gerichtsprotokolle, Statements der Einwanderungsbehörden, die ihrerseits aber alle die Handschrift der entsprechenden Eliten tragen. Das Hauptproblem, so van Dijk, bestünde darin, dass die Eliten einen privilegierten, die ausgegrenzten oder marginalisierten Ausländer jedoch nahezu keinen Zugang zu den Medien hätten. Daher würden Situationen, Ereignisse und Probleme immer aus der Sicht der Eliten interpretiert.

Brisant wird die Angelegenheit, wenn man die Texte des Boulevard-Journalismus mit psychoanalytischen Methoden untersucht. Was oberflächlich betrachtet sachlich aussieht, etwa ein Artikel über die Osterweiterung der EU, entpuppt sich unter der Oberfläche als Katastrophenbotschaft, mit deren Hilfe die kollektive Neurose des Biertisches angeheizt wird. Die heimliche Botschaft versteckt sich oft in Metaphern wie „Flut“, „Schwemme“, in einer das „Boot ist voll“-Rhetorik, aber auch in den Verbalkonstruktionen, mit denen Sachverhalte geschildert werden: „Ausländer vergewaltigte Frau“ oder „Afrikaner wegen Drogenhandels verhaftet“. Unterströmungen, die nichts Gutes verheißen, werden wahrnehmbar. An der Oberfläche scheint alles einigermaßen rational und nachvollziehbar, aber unter der Oberfläche dröhnt latent der Weltuntergang.

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