: Scheiß auf die Typen
Schon 400 Jahre vor „Sex and the City“ wusste Moderata Fonte, dass Männer einfach niederträchtig sind – und das mit zwei Ausrufezeichen
Männer machen ratlos. Jedenfalls Frauen. Sie verstehen die Männer so wenig, dass sich damit ganze Fernsehserien füllen lassen. Die neueste heißt „Sex and the City“. Vier attraktive Single-Frauen in Manhattan fragen sich jede Woche wieder, warum sie nicht verheiratet sind.
Jede Woche sitzen die schicken vier an der Theke einer hippen Bar oder vor den Shrimps eines hippen Empfangs und tauschen ihre neuesten Paarungsversuche aus. Diese Minitragödien enden stets mit einer Erkenntnis, die sich ungefähr so zusammenfassen lässt: „Scheiß auf die Typen – und das mit zwei Ausrufezeichen!!“
Das klingt wie die moderne Frau Mitte 30, klingt wie „Golden Girls“ für Jüngere – und doch gab es das schon vor mehr als vierhundert Jahren in Venedig. In diesem Manhattan der Renaissance hat die reiche Ehefrau eines Steueranwalts eine Literaturgattung erfunden, die bis heute fortwirkt: das imaginäre Frauengespräch. Modesta dal Pozzo de’ Zorzi, die unter dem Pseudonym Moderata Fonte publizierte, beendete ihr keckes Hauptwerk 1592 – angeblich nur einen Tag, bevor sie im Alter von 37 Jahren bei der Geburt ihres fünften Kindes starb. Der Titel bringt das Anliegen auf den Punkt. „Das Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer“. Ja, warum? Das lässt sich jetzt erstmals in einer vollständigen deutschen Übersetzung nachlesen, die die Historikerin Daniela Hacke liebevoll ediert und annotiert hat.
Hauptpersonen sind sieben „Gentildonne“, die sich in einem Palastgarten am Canale Grande treffen, um endlich ungestört und sarkastisch die Geschlechterfrage zu debattieren. Das prächtige Anwesen gehört der jungen, klugen Witwe Leonara, die niemals wieder heiraten möchte: „eher würde ich mich ertränken“. Ihre Freundinnen verstehen sie nur zu gut, sind Männer doch „niederträchtig“.
Leider kommt man nicht ohne sie aus. Was noch heute in Manhattan zutrifft – „Alleinsein ist wie Aussatz“ –, das gilt erst recht für das Venedig der Renaissance. Ledige Frauen werden nicht toleriert und als „Bräute Christi“ mit Jesus zwangsvereint. 1581 lebten über die Hälfte der Patrizierinnen in den fast fünfzig venezianischen Klöstern, 1642 waren es sogar über 80 Prozent. Denn ihre männlichen Verwandten hatten nicht die Neigung oder nicht die Mittel, die hohen Mitgiften aufzubringen. Da kam die „Nonnenhölle“ billiger, falls man sich nicht entschloss, die unverheiratete Schwester im eigenen Haushalt auszubeuten: „Gegen jede Gerechtigkeit werden diese Frauen um ihren Erbanteil betrogen, den ihre Brüder verschwenden, ohne je nach einem Ehemann für sie zu suchen. Und so sind sie dazu verdammt, unter der Herrschaft dieser Männer alt zu werden, ihren Neffen und Nichten zu dienen und bei lebendigem Leib begraben zu sein, lange bevor sie gestorben sind.“
Doch auch das Leben als Ehefrau ist leidvoll, wie die sieben Venezianerinnen zynisch festhalten: „Seht, was die Heirat für ein Glücksfall für Frauen ist: Sie verlieren ihren Besitz, sich selbst und bekommen nichts zurück außer Kinder, die ihnen Kummer bereiten, und die Herrschaft eines Ehemannes, der ihnen seinen Willen aufzwingt.“
Selbst wenn die sieben Gentildonne so den männlichen Machtmissbrauch kritisieren und das Recht auf Bildung und Selbstbestimmung einfordern – ihre Rolle als Hausfrau und Mutter hinterfragen sie nicht. Sie schicken sich in die traditionelle Arbeitsteilung, obwohl kesse Worte fallen: „Nehmt den Männern die geringe Aufgabe des Geldverdienens – wozu sind sie dann noch zu gebrauchen? Was wäre mit ihnen, wenn wir uns nicht um sie kümmern würden?“
Da taucht jedoch ein Widerspruch auf, der die Feministinnen bis heute bedrängt und beschäftigt: „Wenn die Männer tatsächlich derart unvollkommen sind, warum sind sie uns dann übergeordnet?“ Wer diese Machtfrage in der Welt der Kirchen stellen wollte, der musste Gott auf seine Seite ziehen, das war den sieben Venezianerinnen klar. Also schrecken sie nicht vor einer umfangreichen Bibelumdeutung zurück. Etwa zum Sündenfall. Immer würde behauptet, die verdorbene Eva hätte den arglosen Adam verführt. Falsch! „Eva begehrte in guter Absicht zu erkennen, was gut und was böse ist. Aber Adam aß den Apfel aus Fresslust.“
Dieses Argument mag ein wenig antiquiert wirken, dennoch waren die sieben Gentildonne hoch modern. Wie später Simone de Beauvoir wollen sie zeigen, dass man nicht zur Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird. Etwa wenn sie den Einsatz von Soldatinnen in der Bundeswehr vorwegnehmen: „Wenn Frauen nicht zum Kämpfen taugen, dann liegt das nicht an ihnen, sondern ist die Schuld dessen, der sie erzieht.“
Und wie die moderne Frauenbewegung, so zweifeln auch die sieben Venezianerinnen am Wert der Wissenschaft, halten sie für parteilich. „Ihr müsst bedenken, dass diese Geschichten von Männern geschrieben wurden.“ Das Argument war übrigens auch damals keineswegs neu, sondern fast zweihundert Jahre alt. Entwickelt hatte es Christine de Pizan in ihrem „Buch von der Stadt der Frauen“, das 1404/1405 entstand.
Moderata Fonte und ihre sieben Gentildonne waren Teil einer breiten Geschlechterdebatte, die im Europa der Renaissance wogte. Das Neue an den kessen Venezianerinnen waren daher nicht ihre Argumente – sondern die Form des reinen Frauengesprächs.
Wie man heute weiß, eine Innovation mit Zukunft. Pro 7 will „Sex and the City“ noch mindestens drei Jahre laufen lassen. Und jede Sendung wird eine Erkenntnis variieren, die die Gentildonne auch schon hatten: „Wir sind doch alle allein, auch wenn wir mit Männern zusammen sind.“ ULRIKE HERRMANN
Moderata Fonte: „Das Verdienst der Frauen“, übersetzt, erläutert und herausgegeben von Daniela Hacke, 335 Seiten, C. H. Beck, München 2001, 19,90 € (38,80 DM)
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