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Fetische im globalen Dorf

Konventionen des Wissens: Die Ausstellung „New Heimat“ im Frankfurter Kunstverein wandert auf dem schmalen Grat, der zwischen künstlerischen Exponaten und rituellem Gebrauchsgut besteht

von HARALD FRICKE

Nichts ist heute mehr einfach. Nicht einmal die Freude an Motorrädern. Im Frankfurter Kunstverein steht eine Harley Davidson auf einem Podest. Hübsch anzusehen, aber komplett fahruntauglich. Denn das gute Stück wurde im Maßstab 1 : 1 aus Rattan nachgebaut, in einer Werkstatt für Kunsthandwerk auf Bali.

Zwei Geschichten kursieren darüber, was die Attrappe bedeuten könnte: Einmal ist davon die Rede, dass die Menschen auf Bali das unerreichbar teure US-Bike so sehr bewundern, dass selbst die Korbkopie schon ein kostbares Prestigeobjekt darstellt. Damit wäre der begehrte Westen in Fernost als Ersatz angekommen. Die andere Variante erzählt dagegen von einem versierten Spiel mit den kulturellen Codes, bei dem der Kultgegenstand nur die im Westen betriebene Fetischisierung aufgreift und fortführt. Dann ist die Rattan-Harley ein kalkulierter Exportartikel für Touristen, die sich das Souvenir als exotisches Zeugnis für das fingerfertige Geschick der Balinesen mit nach Hause bringen.

Beide Interpretationen zeugen von den Wirren der Globalisierung, in deren Schlepptau auch kulturelle Kontexte ständig neu formatiert werden müssen. Deshalb versucht sich die Ausstellung „New Heimat“ in einer Parallelsicht der Phänomene: Ein bisschen Eigenes im Anderen finden, das gilt schließlich für Asien, Afrika, Südamerika und Europa in gleichem Maße.

Um dieses Konzept möglichst stimmig umzusetzen, hat sich der Kunstverein Mitarbeiter des Frobenius-Instituts als Gastkuratoren eingeladen. Immerhin geht ein Teil der deutschen Ethnografie auf jene Afrikareisen zwischen 1904 und 1935 zurück, mit denen Leo Frobenius allerdings eine seltsam verdrehte These belegen wollte: dass nämlich Afrika noch über eine ursprüngliche Kultur verfüge. In Äthiopien suchte Frobenius etwa nach einer Reinheit und Schönheit, um daraus eine Wesensverwandtschaft mit den „tiefen“ und „ergriffenen“ Deutschen zu konstruieren. Die Suche nach einem afrikanischen Pendant zum Germanentum war eine ideologische Sackgasse. Sie führte aber dazu, dass das an der Goethe-Universität angesiedelte Institut heute eine reichhaltige Wunderkammer aus bald hundert Jahren Feldforschung besitzt: Das Ferne liegt zumindest in Frankfurt ziemlich nahe.

Tatsächlich macht sich die Vermischung von ethnologischen Dokumenten und zumeist kulturkritischen Exponaten westlicher Provenienz in der Ausstellung ganz gut. Denn die verschiedenen Wirkungsweisen der Objekte bleiben je nach Rahmen bestehen: So wird die Aufreihung der verchromten Mülleimer, mit denen Haim Steinbach in den 80ern den Gebrauchswert der Dinge mit dem Tauschwert der Kunst rückkoppelte, nicht automatisch zum Fetisch im globalen Dorf, bloß weil sie gegenüber einem Altarhäuschen installiert sind, in dem brasilianische Trickstergeister mit Nippes-Teufeln beschworen werden sollen. Vielmehr ist an dieser inszenierten Partnerschaft die schmale Differenz abzulesen, die zwischen künstlerischem Readymade und rituellem Gebrauchsgut existiert.

Umgekehrt greift die Konfrontation von afrikanischem Alltag und postkolonialer Wirklichkeit sehr gegenwartsbezogene Spannungen auf. Selten jedenfalls sah man bisher die Slum-Porträts des Johannesburger Fotokünstler Zwelethu Mthethwa direkt neben kunstvoll drapiertem Kochgeschirr, das nigerianische Frauen als Mitgift erhalten. Während Mthethwa zeigt, wie sich die Interieurs der Townships aus Abfällen zusammensetzen, dient der so genannte Frauenraum in Nordnigeria quasi als Wertanlage für den Notfall. In beiden Fällen beruht der Fundus auf europäischen Importen: Hier als Müllrecycling, dort als industriell genormter Schatz.

Natürlich läuft eine solche Meta-Ikonografie Gefahr, die Realität im bunten Nebeneinander zu verkitschen. Doch davor retten sich die Ausstellungsstücke, indem sie ihre allumfassende Einverleibung in die tägliche Praxis mitthematisieren. Das in der Form eines Mercedes gezimmerte Schlafzimmer der „Woloji Brothers“ übersetzt den Reichtum nigerianischer Clans in ein typisch deutsches Statussymbol, um durch Exotismus den Luxuscharakter noch zu betonen; und der Chinese Jun Yang schreibt seine Erinnerungen an den Geburtsort einer modelleisenbahnähnlichen Alpenlandschaft aus Styropor ein, weil er schon seit seiner Kindheit in Wien lebt. Das Lokale als feierliches Setting des Fremden und als Dekonstruktion eines allseits gefeierten Nomadentums, das sind die beiden Pole der „New Heimat“.

Am Ende gilt: Über Heiligtum und Kunstgenuss, Ware oder Wunschobjekt entscheidet die jeweilige gesellschaftliche Konvention, in die immer auch das Wissen um den veränderbaren Status quo der Dinge mit einfließen kann. Wenn Tobias Rehberger in Kamerun Tischler damit beauftragt, Stühle nach Skizzen von europäischen Designermöbeln à la Gerrit Rietveld oder Alvar Aalto herzustellen, dann ist das Ergebnis erst im Museum Kunst. Wer das entsprechende Geld hat, benutzt die Originale zum Sitzen – egal ob im Westen oder in Afrika. Oder er sammelt Rehbergers Adaption. Oder er setzt sich auf einen relativ billigen afrikanischen Hocker, den er vielleicht als Souvenir aus Kamerun mitgebracht hat, weil ihn das Stück so sehr an die eigenen Möbel zu Hause erinnerte. Jede Zuschreibung ist willkommen, keine ist perfekt.

Bis 27. 1. im Frankfurter Kunstverein. Der Katalog kostet 20 € (40 DM).

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