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Selbst und ständig

Im Herzen Horns betreibt Angelika Landwehr das Theater in der Washingtonallee  ■ Von Christian Rubinstein

Rote Backsteinbauten reihen sich entlang einer vierspurigen Straße. Die Washingtonalle zieht sich von der großen Kreuzung vor der Horner Rennbahn Richtung Billstedt. Sie ist von kleinen Ladengeschäften gesäumt, die die Konkurrenz der Supermärkte überlebt haben. Mittendrin besteht seit 1999 ein gemütliches Kleinod der Hamburger Theaterszene: Das Theater in der Washingtonallee. Betrieben wird es von der Schauspielerin Angelika Landwehr, die meist auch Regie führt. Bezahlte MitarbeiterInnen im Backstagebereich hat sie nicht. Wer hier mitmacht, braucht viel Idealismus. „Ich habe schnell gelernt: Selbständig heißt selbst und ständig.“

Durch Zufall ist Landwehr vor einigen Jahren nach Horn gekommen. Sie war auf der Suche nach einer preiswerten Wohnung für sich und ihre Tochter. Den Umzug aus Altona hat sie nicht bereut: „Hier ist es viel großstädtischer, Ottensen ist ja eigentlich ein Dorf.“ In der ganzen Gegend gab es aber kein einziges Theater. „Ich dachte, die Leute laufen mir die Tür ein“, gibt sie ihre Erwartungen aus der Zeit wieder, als sie sich entschloss, selbst eine Spielstätte zu eröffnen. Es war nicht ganz so. Nur ein Drittel ihrer ZuschauerInnen ist aus Horn, der Rest kommt aus ganz Hamburg angereist.

Kontakt zum Stadtteil hat Landwehr trotzdem. Sie sucht zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der Stadtteilkonferenz. Ein Stück über Hooligans, das sie mit Jugendlichen inszenieren wollte, scheiterte am mangelnden Interesse der örtlichen Jugendzentren. Manchmal gibt Landwehr Gastspiele im Stadtteil: Auf der Horner Rennbahn hat sie gespielt, einen Auftritt im Billstedt-Center hat es gegeben. „Zu Anfang habe ich einfach ein Klavier vors Theater gestellt und Würstchen verkauft.“ Doch die PR-Maßnahme wirkte nur halb. Noch immer kennen viele NachbarInnen das Theater nicht. Vor kurzem konnte Landwehr beim Friseur ein Missverständnis aufklären: „Die dachten, das wäre eine Peep-Show.“

Seit der Eröffnung hat Landwehr an der Washingtonallee sechsmal Regie geführt und in fünf Stücken auch selbst gespielt. Zuletzt war sie im Dezember in Vaganten zu sehen, einem Stück über Spielleute. Sieben SchauspielerInnen und MusikerInnen waren auf der Bühne – ein kleines Wunder bei den Bühnenmaßen von fünf mal sechs Metern. Den Aufführungsrhythmus hat Landwehr zurückgeschraubt, seit nach dem 11. September die ZuschauerInnen ausblieben. Jetzt wird donnerstags bis samstags gespielt. Einmal im Monat gibt es ein Montagsgastspiel. Der Zuschauerschnitt liegt bei zehn Personen pro Vorstellung. „Eigentlich müssten es 20 sein, dann könnte ich meine Schauspieler besser bezahlen.“ Von der Kulturbehöre bekommt das Theater ganze 10.000 DM im Jahr. Davon wird die Aufnahme in die Theaterpläne Hamburger Zeitungen bezahlt.

Die Anfangsinvestition ins Theater hat die Theaterleiterin mit einem Existenzgründungskredit finanziert. Demnächst beginnt die Rückzahlungsfrist. Sechs Scheinwerfer konnte sie sich leisten. Für Bühnenbilder ist kaum Geld da, das sei aber auch nicht das Wichtigste: „Die Leute kommen, um Schauspieler zu sehen.“

Die Nähe zur Bühne ist in der Tat der große Vorteil der Räumlichkeiten. Das aktuelle Stück ist das Theater-Solo Die Wanze, in dem ein Darsteller mit Klavierbegleitung eine Krimi-Satire erzählt. Nicht eine Perfektion der Effekte steht im Vordergrund. Der Darsteller muss gleichzeitig den Diaprojektor bedienen und die Requisiten herbeizaubern. Dafür sieht man im Theater in der Washingtonallee das Weiße im Auge des Schauspielers.

Gespielt wird auch bei kargem Publikumszuspruch: „Es kann schon mal sein, dass wir nur für vier Zuschauer spielen“, berichtet Landwehr. „Die fühlen sich dann privilegiert.“ Am 15. Januar gibt es die nächste Premiere: Credo, eine Psychostudie über die Angst vor dem Alleinsein vom französischen Dramatiker Enzo Cormann. Diesmal führt Landwehr nicht Regie und spielt auch nicht. Ihre Wünsche fürs neue Jahr? Mehr Zeit, um Liegengebliebenes aufzuarbeiten.

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