: Personifizierte Sternenbanner
Nur wenige Helden können mit purer Muskelkraft einstürzende Hochhäuser stoppen. Superman & Co. kämpften für Recht, Gesetz und Amerika. Jetzt bleibt ihren Abenteuern wohl nur noch eine Gnadenfrist. Und ein gelungener Arte-Themenabend
von PHILIPP SCHULZ
Wer hätte die Attentäter vom 11. September aufhalten können? In den 40er-Jahren hätte jedes Kind in New York geantwortet: Superman. Für den fliegenden Mann ist es schließlich eine Kleinigkeit, das Einstürzen von Wolkenkratzern zu verhindern.
Die erste Episode der Zeichentrickserie von 1941, die Arte heute um Mitternacht ausstrahlt, zeigt das auf rührend naive Weise. Vom Weltraum aus bedroht ein größenwahnsinniger Wissenschaftler die Erde mit einer Laserkanone. Er nimmt die Millionenstadt Metropolis ins Visier, die New York City zum Verwechseln ähnlich sieht, und richtet den Laserstrahl auf ein Hochhaus, dessen Spitzdach wiederum an die Art-déco-Stahlhaube des 1930 fertiggestellten Chrysler Buildings erinnert.
Der höchste Wolkenkratzer seiner Zeit neigt sich wie eine Palme im Sturm und droht in die benachbarten Türme zu stürzen. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch: Superman fliegt herbei und stützt das Gebäude mit bloßen Händen. Erst als dessen Bewohner in Sicherheit sind, zieht er aus, den Angreifer unschädlich zu machen.
Die Erfinder dieses modernen Herkules vom Planeten Krypton – zwei 17-Jährige namens Siegel und Shuster aus Cleveland, Ohio – hatten ihren Helden nicht nur dem Geltungsbereich Newton’scher Gesetze enthoben, sondern ihn auch mit schier unermesslichen Kräften ausgestattet: Mauern, Waffen, riesige Entfernungen – nichts sollte den Schwerathleten mit dem wehenden Cape aufhalten können. Doch nicht nur die Muskeln, die das hautenge blaurote Outfit zur Hügellandschaft formen, sondern vor allem die unerschütterliche Treue zum American Way of Life sorgen fortan für die Lufthoheit des Super-Manns über schaurige Schurken aller Art.
In den Jahren zwischen Weltwirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg, so berichtet der Franzose Michel Viotte in seinem fast 100 Minuten langen Dokumentarfilm „Von Superman zu Spiderman“, lieben die Amerikaner personifizierte Sternenbanner wie etwa Captain America, die der„Wahrheit und Gerechtigkeit“ zum Sieg verhelfen. Unzählige Wiedergänger des Stammvaters Superman stehen regelmäßig Hitler persönlich gegenüber, bis sie sich nach dem Krieg auf die Abwehr der „Roten Gefahr“ konzentrieren. Ende der 50er-Jahre hat dann auch der böse Bolschewik als Einheitsfeindbild ausgedient.
Den Heldenstil der Sixties prägt Stan Lee, Chef des Marvel-Verlages. Der ist neben der Superman-Company DC Comics das zweite Imperium der US-Heftchenwelt. Lee und sein Chefzeichner Jack Kirby stellen die Konflikte, die sich aus dem Doppelleben der Helden ergeben, in den Vordergrund. Mit Spiderman erschafft das Duo 1962 gar einen ironisch menschelnden Superantihelden, dem die eigenen Teenagerneurosen kaum weniger zu schaffen machen als die Pläne der Erzschurken, die Monat für Monat und Heft für Heft gegen ihn antreten.
Neue Themen
Neue Themen wie Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit, Beziehungsprobleme, Rassismus, Hippies und Vietnamtrauma sprechen Jugendliche und ihre Identitätsnöte an. Die Macher all dieser modernen Heldensagen sind nun keineswegs bekiffte Freaks oder abgefeimte Zyniker, sondern ebenso sensible wie kühl kalkulierende Köpfe, die sich keinerlei Illusionen in Bezug auf Produktion, Vermarktung und Konsum ihrer Erzeugnisse hingeben. Der älteste der befragten Marvel-Zeichner etwa blickt zwar kopfschüttelnd, aber ohne Bitterkeit zurück: Zu Beginn seines Arbeitslebens hätte er nicht gedacht, dass er bis zu seiner Pensionierung nichts als Superhelden zeichnen würde.
In den medienkritischen 70ern, als Comics im deutschsprachigen Raum ohnehin unter dem Generalverdacht standen, im Auftrag der Kulturindustrie die Massen an einem selbstbestimmten Leben zu hindern, macht sich ein anderer negativer Trend bemerkbar: Immer rascher entwuchsen die jungen Leser der angepeilten Zielgruppe.
Nach einem kurzen Revival in den 90ern, das mit einer unmotivierten Brutalisierung des Genres einherging, scheint im Frühjahr 2001 das Schicksal der mittlerweile über sechzig Jahre alten Idole besiegelt zu sein: Der Stuttgarter Dino-Verlag kündigt an, er wolle Superman, sein wunderbar düsteres Pendant Batman und alle anderen Superkerle aufs Altenteil setzen. Nur einen knappen Monat muss die auf magere 10.000 Käufer geschrumpfte Fangemeinde zittern – dann entschließen sich die alten Kontrahenten DC und Marvel Comics zu einer Kooperation und verschaffen damit all den Rettern dieser Welt eine Gnadenfrist.
Ohne Herablassung
Dass die herkulischen Helden – und damit auch ihre Liebhaber – ohne Herablassung behandelt werden, entpuppt sich als wesentliche Stärke des Hauptbeitrags dieses Heldenabends. Untermalt von schräger Surfmusik, nimmt der Dokumentarfilm die Comic-Heroen durchweg ernst und präsentiert zwischen köstlichen Strips und Clips eine Menge historischer und soziologischer Fakten, die auch Nichteingeweihten einen guten Überblick über diese in sich abgeschlossene imaginäre Welt verschafft.
Bereits im Vorspann trifft Autor Viotte auf ungewollt doppelbödige Weise den Kern des Themas – und den Nerv der Zuschauer: Er nimmt uns mit auf einen Hubschrauberflug rund um das erwachende Manhattan, die universelle Kulisse unzähliger Genreabenteuer. Schon nach wenigen Sekunden kommt es plötzlich ins Bild, das World Trade Center. Tausendmal gesehen, tausendmal ist nichts geschehen. Erst seit dem 11. September sind die Twin Towers immer auch eine Reminiszenz an eine vermeintlich heile Welt, in der Bösewichte Supermans Metropolis und Batmans Gotham City nichts anhaben konnten.
Wie lange wird es wohl dauern, bis der mutmaßliche Drahtzieher sich der Riege der Superhelden zu stellen hat? Wer sich dann bei dem Gedanken ertappt, dass ein omnipotenter Retter aus dem heiteren Morgenhimmel über New York hätte herbeieilen müssen, um den monströsen Anschlag zu verhindern, befindet sich schon mitten im „Marvel Universum“. („Die Superhelden“ So., 22.20 Uhr, Arte)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen