Der Lauf des Weißen Monats

Jedes Tierzeichen sucht seinen Wanderweg: Weihnachten in der äußersten Mongolei

In der Mongolei ist das ganze Jahr über Weihnachten, nein, nicht das ganze, aber einen Monat lang schon – den so genannten Weißen Monat. Dieser verschiebt sich außerdem noch jedes Jahr, weil ihm der asiatische Mondkalender zu Grunde liegt. 2001 begann der Weiße Monat am 24. Februar. Eigentlich wird nur drei Tage lang gefeiert. Weil die Großfamilien aber so weit auseinander leben, braucht es viele Tage, um sie alle jeweils drei Tage lang besuchen zu können. Und wie bei uns beginnt die ganze Feierei besinnlich – mit dem Heiligen Abend (bituun).

Dieses Jahr ist es der 23. Februar. An diesem Tag werden die letzten Vorbereitungen getroffen, und am Abend bleiben dann alle zu Hause – mit ihrer Kernfamilie. Man sitzt zusammen, isst mit Fleisch gefüllte Teigtaschen (buus) und trinkt Tee sowie vergorene und unvergorene Stutenmilch. Geschenke gibt’s keine! Aber irgendwann wird der Fernseher angestellt: Das Programm Mongol-TV überträgt die Nationalen Ringkämpfe (bohk) live. Dem finalen Sieger, der etwa ab 22 Uhr feststeht, winkt für ein volles Jahr Respekt von allen Seiten. Anschließend werden Konzerte übertragen. Wer die nicht hören will, besucht die Nachbarn – die jedoch ebenfalls alle die Sendungen hören und sehen. Der nächste (erste) Feiertag (des neuen Jahres) heißt shiniin negen und beginnt sehr früh: vor Sonnenaufgang. Die Frauen kochen Tee, Männer und Kinder machen sich schick. Dann gehen alle raus und zerstreuen sich in alle Richtungen – je nachdem, in welchem Tierkreiszeichen sie geboren sind. Ein Stier musste in diesem Jahr wenigstens ein paar Minuten in Richtung Nordost gehen, um sich zu sammeln und Glück für den ersten Weg im neuen Jahr zu erheischen. Der falsche Weg brächte Unglück! Im Zweifelsfall muss man vorher einen Lama konsultieren oder sich ein Nachschlagewerk besorgen.

Wieder zu Hause, beginnen die Feiertage richtig: Man trifft seine Verwandten, wobei die Jungen die Alten mit einem hadag (ein blaues Seidentuch als Zeichen der Verehrung) begrüßen. Anschließend trinken alle zusammen Tee und essen. Dabei tauschen sie kleine Schmuckdosen mit Schnupftabak (hoorog), zur Festigung des Vertrauens.

An diesen Punkt hat denn auch das kommerzielle Denken eingehakt. Inzwischen gibt es schon eine richtige Geschenkindustrie zum Weißen Monat – mit dem entsprechenden Werberummel. Am beliebtesten sind nach wie vor chinesische Seidenkleidung für Männer und Frauen sowie Computerspiele für die Kinder.

Nahezu die gesamte Bevölkerung ist an den heiligen Tagen unterwegs, um sich gegenseitig zu besuchen. Und alle sind ganz höflich zueinander. Sich streiten würde Unglück bringen, und gearbeitet wird auch nur das Nötigste. Die meisten haben sowieso ihre kostbare Nationaltracht angezogen.

Der zweite Tag – shiniin xoyoron – verläuft im Prinzip so wie der erste, nur dass jungverheiratete Frauen an diesem Tag alle zu Hause bleiben müssen, wenigstens auf dem Land ist das noch so. Früher gab es noch die Regel, dass Wodka nur an Männer über vierzig ausgeschenkt werden durfte – jedoch so viel, wie sie wollten. Heute trinken auch die jungen Leute immer mehr und fallen dann am dritten Heiligen Tag – shiniin gurvan – manchmal beim Verwandtschaftsbesuch aus oder verschieben ihn auf den vierten Tag. Es geht, wie gesagt, nicht darum, dass diese Tage hintereinander stattfinden, sondern dass sie überhaupt stattfinden – im Laufe des Weißen Monats.

Für die Gastronomie ist die Zeit sehr bitter, alle Gäste feiern privat – und meist laden sie auch noch die einsamen Ausländer dazu ein. Dafür sind die buddhistischen Kloster rappelvoll. Bis zum fünfzehnten Tag des Weißen Monats muss man mindestens einmal dort gebetet haben. Sonst ist das mongolische Weihnachtsfest nicht rund!DONDOG BATJARGAL