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Der Wille zur Wichtigkeit

Medienprofis unter sich: Nachdem Christoph Schlingensief Kolumnenautor der „FAZ“ war, folgt mit „Rosebud“ an der Berliner Volksbühne eine Kolportage aufs Zeitungmachen in Zeiten von Gentechnik

Der Verleger, der Missachtung durch Machtgewinn kompensiert – na ja

von CHRISTIANE KÜHL

Ein Mann setzt sich neben einen Stuhl. Krach! Autsch. Unschön. Am Mittwoch um 18 Uhr informiert die Berliner Volksbühne, dass die für diesen Abend angesetzte Uraufführung von Christoph Schlingensiefs „Rosebud“ in der Regie des Autors wegen eines Bandscheibenvorfalls des Hauptdarstellers verschoben werden muss.

Am Donnerstagabend, in einem Theater nicht weit vom Rosa-Luxemburg-Platz, hört man dagegen eine andere Erklärung. Eklatanter Drogenkonsum habe die Premiere verhindert, vor Freitag sei der Betroffene gar nicht wieder zurechnungsfähig. So ist das Theater. Und damit der Zeitung gar nicht so unähnlich: schwierig in der Herstellung und im Zweifelsfall den eigenen Mythos gleich mitproduzierend.

Die beharrlichste Arbeit am eigenen Mythos leistete in den vergangenen Jahren die FAZ. Eifrigster Baumeister war und ist dort Frank Schirrmacher, Mitherausgeber und Chef ihres Feuilletons, der „Berliner Seiten“ und der seit September erscheinenden Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Verglichen mit Medienmogulen wie Berlusconi, Murdoch oder Orson Welles' „Citizen Kane“, auf den Schlingensiefs „Rosebud“ offensichtlich anspielt, ist Schirrmacher natürlich eine kleinere Größe. Weil es aber vorerst nicht um die ganze Welt, sondern um Deutschland geht, ist der Geisteswissenschaftler doch König. Gott darf man ihn insofern nicht nennen, als dass der einst von Papst Marcel Reich-Ranicki inthronisierte Schirrmacher mit seiner Genom-Entschlüsselungs-Themensetzung ja selbst einen entschiedenen Beitrag zur Säkularisierung von Welt und Feuilleton leistete. Fassen wir den 42-Jährigen also als einen Mann „gleichzeitig von Weltwichtigkeit und Wirkungswillen durchdrungen“, wie Rainald Goetz es formuliert hat. „Etwas machen, von dem am nächsten Tag die ganze Nation spricht“, das will Frank Schirrmacher – und ist in seinem Größenwahn Christoph Schlingensief gar nicht so unähnlich.

Nach diversen Splatterfilmen, dramatischen Polit-Happenings und der zukunftsgewandten Rückführung des Theaters auf sein Wesentliches – der eitlen Welt nicht nur hinterm Vorhang einen Spiegel vorzuhalten, sondern bei Bedarf auch mal auf dem Opernplatz im Container mit Asylbewerbern eine Watschen zu versetzen – hat Christoph Schlingensief nun sein erstes Theaterstück geschrieben. Im März wird der Text bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen, seit Freitag kann man ihn in Berlin in seiner ersten Inszenierung auf der Bühne sehen.

Dass es darin um die Gründung einer Sonntagszeitung ginge, hatte der Autor längst publik gemacht – Schlingensief weiß, was Medien wünschen. Nicht zuletzt, weil er als Autor der Kolumne „Intensivstation“ selbst für die FAZ arbeitet. Aber auch der Spiegel widmet „Rosebud“ in der aktuellen Ausgabe eine ganze Seite des Medienressorts.

Da Schlingensief kein Künstler der Beschränkung ist, geht es in „Rosebud“ selbstverständlich um mehr als die Dekonstruktion der Zeitung am Sonntag (ZAS). Gleich zu Beginn werden die Theaterheiligen der Siebziger geköpft: In bester Bob-Wilson-Manier bewegen sich Spieler mechanisch in monochromem Licht zu Tom-Waits-Klängen. Martin Wuttke liefert eine Imitation des Woyzeck aus Wilsons dänischer Produktion, was Wilson als den größten Wilson-Imitator vorstellt. Es folgt die lähmende Biederkeit von Peter Zadeks gerühmter „Rosmersholm“-Inszenierung: Sophie Rois tritt auf mit dem leidenden Topfpflanzenblick Angela Winklers, Wuttke spielt den schleimenden Kroll alias Peter Fitz, dann erscheint Volker Spengler als Rosmer wie ein ungeschlachter Antipode zu Gerd Voss.

Die Persiflage ist ein Spaß, der langsam unterhöhlt wird: In Ibsens Text, in dem der konservative Kroll den Expfarrer Rosmer für ein nationales Zeitungsprojekt gewinnen will („Jetzt sind die Linken bedauerlicherweise an die Macht gekommen, und es ist höchste Zeit!“), werden Schirrmacher-Zitate eingeschleust: „Unser Hauptgegner befindet sich in unserem Kopf. Das ist die Erinnerung an das, was ‚Die Zeit‘ in den Achtzigern war, als sie mit ihren Debatten noch die Republik dominierte. Eine Sonntagszeitung, die man sich als Wochenzeitung denkt – das müsste man erreichen!“

Unglücklicherweise hat jedoch auch Schlingensiefs Text damit seinen Höhepunkt an smarter Subversivität erreicht. Was folgt, sind zwei Stunden Farce und Klamotte in melodramatischer Manier. Der Kanzler tritt auf und rechnet arme westliche gegen vernachlässungswürdige islamische Tote auf, Gattin Doris wird entführt von ZAS-Journalisten, die Taliban für die Quote spielen, und Kroll entpuppt sich als schwuler FDP-Politiker namens Guido.

Rosmer selbst hat Phantomschmerzen im Schritt, die sich als erste Anzeichen seiner Transsexualität entpuppen. Um seinen Schwanz zu retten, kapriziert er sich auf die Genforschung. Das könnte rasant sein, wirkt aber trotz klasse Schauspielern müde und vor allem dünn. Der Verleger als einsamer Mann, der erlittene Missachtung durch Machtgewinn kompensieren will – na ja.

Mit dem Maniac Schlingensief auf der Bühne hätte die Sache vielleicht einen halluzinogenen Kick kriegen können. Aber die ungewohnte Verhaftung seiner Fantasiegeburten in der Ordnung des Schauspiels lässt den Vogel nicht fliegen. „Es sind Menschen, denen das Sterben misslungen ist“, spricht Adorno von einer Leinwand, den Tod als Utopie und das „positive Nichts“ reflektierend. „Untote“ haben Schlingensief oft beschäftigt. Welch Ironie des Schicksals, dass just an diesem Samstag in der FAZ ein Artikel ihres untoten Oberkritikers Gerhard Stadelmaier über „Die Geburt Gottes auf dem Theater“ erschien.

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