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„Lili Marleen“ und kritische Lyrik

Eine neue Biographie über den umstrittenen Hamburger Autor Hans Leip  ■ Von Kai-Uwe Scholz

Hatte Hamburg je eine Boheme? Ja! In den Roaring Twenties tobte hier das Leben; die Hamburger Künstlerfeste im Curiohaus waren legendär. Einer der kreativsten Köpfe dieser Szene war der junge Hans Leip. Seine Tätigkeit als Volksschullehrer war ihm schon nach kurzer Zeit zu eng geworden; der vielfach begabte Sohn eines Hafenarbeiters aus der Langen Reihe in St. Georg begann zu schreiben. Zuerst wurde er mit zarten, impressionistisch wirkenden Erzählungen und expressionistisch angehauchter Graphik bekannt.

„Wer hätte das den Deutschen zugetraut“, rief Knut Hamsun nach der Lektüre von Leips Roman-Erstling Der Pfuhl (1923), der im Hamburg der Inflationszeit spielt. Literarische „Einmaligkeit“ gar bescheinigte Thomas Mann der zwei Jahre später erschienenen historischen Erzählung Godekes Knecht und votierte für die Verleihung des Roman-Preises der Kölnischen Zeitung an den Autor. Die Preissumme war für damalige Verhältnisse exorbitant: Leip erhielt 10.000 Mark und verjubelte sie in wenigen Wochen in Paris.

Doch erntete Leip im Verlauf seiner Karriere nicht nur Lob. Als junger Soldat hatte er 1915 das Lied „Lili Marleen“ geschrieben, das im Zweiten Weltkrieg zur Landserschnulze avancierte. Der allabendlich als inoffizieller Zapfenstreich gesendete Schlager war in der Interpretation von Lale Andersen auch an den gegnerischen Fronten beliebt. Der Verfasser sei „der einzige Deutsche, der während des Krieges der ganzen Welt Freude gemacht hat“, meinte rückschauend US-General Eisenhower. Andere urteilten kritischer – vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit. War Leip eben noch berühmt, galt er nun als beschädigt.

Denn in der NS-Zeit hatte Leip zu lavieren begonnen. Bis 1932 war er Mitglied der Schriftstellergemeinschaft „Hamburger Gruppe“ gewesen – einem Kreis, dem so unterschiedliche Autoren wie der völkisch-nationale Hans Friedrich Blunck und das Enfant terrible Hans Henny Jahnn angehörten. Während Blunck zum Präsidenten der NS-Reichsschrifttumskam-mer aufstieg und Jahnn sich in eine Art Emigration nach Dänemark zurückzog, versuchte Leip einen Mittelweg.

Erfolgreich suchte er die Nähe zu Hamburgs NS-Bürgermeister Carl Vincent Krogmann, publizierte in Goebbels Renommierzeitschrift Das Reich, ließ sich als Biograph des zum arischen Kämpfertypus stilisierten Boxstars Max Schmeling einspannen und zur Teilnahme an den Weimarer Dichtertreffen 1940/41 bewegen. Auf der anderen Seite hatte er den Mut, die Freilassung seines bereits ins KZ eingelieferten jüdischen Förderers Oscar Isey zu erwirken. 1938 nahm er an der Beerdigung des verfemten Ernst Barlach teil. Leip veröffentlichte außerdem Texte wie das verkappt kritische Drama Idothea oder Die ehrenwerte Täuschung. Mit seinem „Lied im Schutt“ thematisierte er die Zerstörungen in Hamburg 1943. Ein 1941 entstandenes Schauspiel, Tamerlan oder Des Schwertes Umkehr, das im historischen Gewand das Geschehen der Gegenwart kritisierte, liegt bis heute ungedruckt in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek.

Durch sein Schlingern war Leip nach 1945 jedoch unversehens zwischen die Stühle geraten. In der Literaturgeschichtsschreibung führte das zu sehr unterschiedlichen Urteilen. Und seine 1963 und 1979 veröffentlichten Autobiographien schmecken zu sehr nach Plädoyer in eigener Sache, um in allen Aussagen glaubhaft zu wirken.

Nun hat ein junger Literaturwissenschaftler in Hamburger Archiven, Bibliotheken und Museen schlummerndes Nachlassmaterial Leips ausgewertet und zu einem Lebensbild der wichtigsten Jahre verdichtet. Damit liegt zum ersten Mal eine in dieser Breite quellengestützte und verlässliche Biographie vor. Sie ist zugleich eine wichtige Briefedition: 222 bislang unbekannte Schreiben von Leip – unter anderem an Axel Eggebrecht, Gerhart Hauptmann, Hans Henny Jahnn oder auch Axel Springer – hat Autor und Editor Rüdiger Schütt zum Abdruck gebracht.

Besonders die Briefe an Kläre Buchmann, Leips Lektorin beim Cotta-Verlag, gewähren Einblick in die persönlichen Umstände und Gewissensnöte des Schriftstellers. Trotz mancher Detailversessenheit ist die Biographie flott geschrieben, außerdem reich bebildert und mit nützlichen Dreingaben wie einem kommentierten Personenregister versehen. Eines abschließenden, wertenden Urteils über Leips Verhalten enthält sich Schütt allerdings. Das kann man sich nun selber bilden. Zudem ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Binnendifferenzierung der Literatur der 20er und 30er Jahre sowie der Hamburger Szene dieser Zeit.

Rüdiger Schütt, Dichter gibt es nur im Himmel – Leben und Werk von Hans Leip, Dölling & Galitz Verlag, Hamburg 2001, 499 S. m. rund 150 Abb., 48 Mark/24,80 Euro

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