Der DJ ist weg, das steht fest

Siebzehn Plattenspieler künden von den Unermesslichkeiten des Mix: Isabel Osthues hat in Bochum „Selbstportraits. 48 Details“ von Thomas Oberender ganz entschieden als Unschlüssigkeit inszeniert

von MORTEN KANTSTEINER

In langer Reihe stehen 17 Plattenspieler auf der Bühne. Sie künden von lückenlosen Schallteppichen, von den unermesslichen Möglichkeiten des Mix. Aber sie erfüllen ihr Versprechen nicht. An diesem Abend ist die Party von vorneherein vorbei. Der DJ – manche nennen ihn Gott – ist immer schon gegangen. Manche meinen gar: gestorben.

Nur die letzten Gäste sind noch da: Daniel, Helene, Fabian und Juliane, das Personal von Thomas Oberenders „Selbstportraits. 48 Details“. Wenn das gemischte Doppel mit seinen Worten nicht allein sein will, muss es die Plattenspieler selbst bedienen. Die vier Mittdreißiger sind nicht sehr geübt darin, und alle guten Titel sind bereits gelaufen. Also spielen sie LPs mit Klassik für Kinder, mit Vogelstimmen oder mit Streichern, die nach abgenutzten Filmen klingen.

Im Text von Thomas Oberender, den er parallel zu seiner Arbeit als leitender Dramaturg des Bochumer Schauspielhauses geschrieben hat, steht von alldem nichts. Ohnehin bleibt dort vieles offen: Orte, Zeiten, Geschehen und selbst die Reihenfolge der 25 Szenen. Die „Selbstportraits“ bieten eine Sammlung von Monologen, Statements, Gesprächen, die auf eine Festlegung warten. Für die Bochumer Uraufführung hat Isabel Osthues vor allem eines bestimmt: die Stimmung. In ihrer Inszenierung sind die Figuren bis zum Starrsinn unschlüssig, und dazu kommt ein Unterton unbekümmerter Verzweiflung. Es herrscht eben jene Atmosphäre, die sich einstellt, wenn die Party definitiv vorüber, aber die Sehnsucht nicht im Mindesten gestillt ist.

Als Fabian und Daniel lassen Patrick Heyn und Martin Horn, kaum dass sie auf der Bühne sind, ihre Zigaretten- und Streichholzschachteln auf zwei Plattentellern kreisen. Alles, was sie sagen, stellen sie weithin sichtbar unter das Vorzeichen verspielter Langeweile. Darauf, was sie sagen, kommt es nicht wirklich an. Daniel rügt nur mit halbem Herzen, dass Fabian ihn tags zuvor versetzt hat. Und dieser entschuldigt sich mit abwesenden Floskeln.

Lange nach Sinn zu forschen ist unter diesen Bedingungen zwecklos. Wenn der eine Mann den anderen fragt: „Wir sind doch Freunde, oder?“, könnte jede Antwort richtig sein. Und in der Tat kommen im Laufe des Abends verschiedene zusammen. Die treffendste lautet womöglich: „Sicher, wir arbeiten zusammen.“ Ebenso schwer sind andere Fragen im Leben der vier zu beantworten: Wer soll jetzt wen berühren? Wer spricht die Ansage auf den Anrufbeantworter? Und sind wir überhaupt noch jung?

Die Figuren kommen unterschiedlich gut mit der Unentschiedenheit ihrer Existenzen klar. Der Daniel des Martin Horn beißt sich durch, humorlos und in steifer Haltung: „Wir haben doch gesagt: Nicht so mit mir umgehen!“ Patrick Heyn verspritzt als Fabian Unmengen perlender Getränke, um sich als cool zu behaupten. Die Helene der Bianca Nele Rosetz pendelt zwischen böse und Baby: grölt mal betrunken herum, um dann wieder einer Spieluhr zu lauschen.

Nur Juliane hat keine funktionierende Strategie. Julie Bräuning zeigt sie einfach leidend: mit angelegten Armen und dünner Stimme. Juliane ist die Verliererin des Quartetts. Fabian hat sie verlassen und hat mit Helene – obwohl die Daniels Frau ist – ein Verhältnis. Und schließlich verliert Juliane neben ihrem Partner noch ihre Identität: Die Rivalin kopiert sie so gut, dass das Original am Schluss nur noch abtreten kann.

Isabel Osthues ordnet die „Selbstportraits“ so, dass Julianes Schicksal Richtung Mittelpunkt rückt. Wenn die lockere Szenenfolge überhaupt eine Geschichte erzählt, dann ist es die ihrer Niederlage. Und eigentlich müsste einem das verlassene Mädchen zu Herzen gehen. Tut es aber nicht, weil ihre Geschichte von der großen wabernden Unschlüssigkeit einfach geschluckt wird. Die Post-Party-Stimmung lässt keine Entscheidungen zu, und also kann auch diese Niederlage nicht entscheidend sein. Die Inszenierung beschreibt ein Bedeutungsvakuum, sie füllt es nicht. Sie reproduziert eine Haltung, in der Aussagen austauschbar werden und die Zeichen zu einem gewissen Grade beliebig. Die Figuren könnten andere Floskeln formulieren, andere Marotten haben, andere Platten auflegen. Das ist nicht so wichtig. Nur eins steht fest: Der DJ ist weg. Keiner weiß, wie es dazu kommen konnte oder was daraus folgt.