: Das Schwein blökt
Münzen und ihr Wert haben keinen logischen Zusammenhang. Ein Blick in die Geschichte
von ANDREW JAMES JOHNSTON
Der Euro kommt, die D-Mark geht – und mit ihr ein magischer Index, an dem die (West)deutschen ihren Wiederaufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg ablesen konnten. Der Verlust der Mark bedeutet also auch einen Verlust an bundesrepublikanischer Identität, und das weckt Ängste. So weit, so bekannt. Aber ist das wirklich alles? Könnte es sein, dass mit dem Wechsel der Währung Unsicherheiten offenbar werden, die noch um einiges tiefer liegen als die Erschütterung der Gruppenidentität?
Tatsächlich löst jede Veränderung, die die Zahlungsmittel betrifft, Unruhe aus, teils weil konkrete Verluste befürchtet werden, vor allem aber weil jede Währungsumstellung sichtbar macht, was im Alltag gern verdrängt wird: den Zeichencharakter des Geldes.
Das Geld ist der Sprache in vieler Hinsicht ähnlich. Die Bedeutung des sprachlichen Zeichens, so lehren die Linguisten, ist willkürlich, arbiträr und konventionell festgelegt, sie beruht auf einer Übereinkunft seiner Benutzer. Willkürlich deshalb, weil zwischen dem Zeichen und seinem Bezeichneten, zwischen Wort und Ding kein logischer Zusammenhang besteht. Ein Schaf blökt auch dann, wenn wir es Schwein nennen. Dass wir es Schaf nennen, beruht auf einer Einigung, die sich nicht als bewusster oder harmonischer Prozess vollzieht, sondern gesellschaftlichen Mechanismen folgt, bei denen es um Macht geht und die sich dem Wirken und Verständnis der Beteiligten meist entziehen.
Mit dem Wert von Geldscheinen und Münzen verhält es sich nicht viel anders. Es ist den Menschen nie leicht gefallen, dies anzuerkennen. Zwar rückt im Verlauf der Geschichte der Zeichencharakter des Geldes zunehmend in den Vordergrund, doch wird er immer wieder wenn nicht geleugnet, so doch verschleiert und verbrämt. Lange Zeit schienen Münzen den Anspruch einzulösen, nicht bloße Zeichen für etwas anderes, sondern im Gegenteil die Sache selbst zu sein, unwandelbar in ihrem Wert und ihrer Bedeutung.
Der Geldwert einer Münze entsprach dem Wert des Metalls, aus dem sie geprägt war. Je sicherer man war, dass Nennwert und Metallgehalt übereinstimmten, desto höher schätzte man die Münze. So diente im arabischen Kulturraum bis weit ins 20. Jahrhundert der Maria-Theresia-Taler als Zahlungsmittel. Die prachtvolle Münze mit dem Bildnis der längst verstorbenen Kaiserin symbolisierte Gediegenheit, Wahrhaftigkeit und Solidität.
Auch heute noch verweist der moderne Begriff Solidität auf einen monetären Kontext, denn im Mittelalter bezeichnete das lateinische Wort solidus in substantivischer Verwendung eine Goldmünze von beträchtlichem Wert. Aber gerade die Solidität bildete einen neuralgischen Punkt, an dem der Zeichencharakter des Geldes zu Tage trat: Nicht wenige Herrscher der frühen Neuzeit senkten die Qualität der Münzen, ersetzten Gold und Silber durch Legierungen oder prägten kleinere oder dünnere Münzen, als der Nennwert es vorsah. Das war Betrug. Heinrich VIII. von England ging im 16., Friedrich der Große im 18. Jahrhundert diesen Weg.
Während manche Könige zu Falschmünzern wurden, gewannen diejenigen an Prestige, die für gutes Geld sorgten. Elisabeth I. von England sicherte ihre anfangs wacklige Herrschaft nicht zuletzt, indem sie das Vertrauen in die Münzen wieder herstellte, das ihr Vater Heinrich so nachhaltig erschüttert hatte.
Sah es zunächst so aus, als würde Geld nur durch Fälschung zum arbiträren Zeichen werden, ansonsten aber die unwandelbare Einheit von Zeichen und Bezeichnetem bewahren, erlebte schon Elisabeth I., dass das Problem grundsätzlicher Natur war. Kaum schien die Stabilität der Währung gesichert, verloren auch die Münzen aus reinem Edelmetall unausweichlich an Wert. Weder Gold noch Silber boten Schutz gegen die Dauerinflation, die Europas Geldbörsen seit dem ausgehenden Hochmittelalter beutelte.
Die Edelmetalle selbst förderten die Misere – spätestens als aus Spaniens Kolonien in Südamerika ein wachsender Strom an Gold und Silber in die Alte Welt floss und den Geldmarkt überschwemmte. Wurden die spanischen Könige scheinbar immer reicher, heizte die exorbitante Menge vermeintlich harten Geldes nur die Teuerung an, gerieten die iberischen Herrscher in immer größere Abhängigkeit von ihren genuesischen Bankiers, vor der sie auch die regelmäßige Inszenierung des Staatsbankrotts nicht retten konnte. Und das restliche Europa wurde im Strudel der Geldentwertung mitgerissen.
Der Wert des Geldes, so zeigte sich, war letztlich nicht festzulegen, denn alles Materielle, an das er geknüpft werden konnte, war ebenso Gegenstand der Bewertung, konnte seinen Wert im Verhältnis zu anderen Dingen verändern oder verlieren. Der Wert des Goldes schwankte im Verhältnis zu anderen Gütern und bildete daher keinen festen Anker für die Währung. Auch das Edelmetall hatte bloß die Funktion eines Zeichens, dessen Bedeutung auf Übereinkunft beruhte und ständigem Wandel unterworfen war.
Nur in einer Hinsicht sind Wert und Bedeutung des Geldes stabil, insofern nämlich, als es die vollständige Relativität materieller Werte kennzeichnet, ein Aspekt dessen, was Georg Simmel die „Substanz gewordene Relativität“ des Geldes nannte. Obwohl die absolute Relativität des Geldwertes spätestens seit dem 16. Jahrhundert hätte bekannt sein können, weigerten sich die Europäer hartnäckig, ihr ganzes Ausmaß zu begreifen. So endete 1720 Frankreichs Experiment mit dem Papiergeld im Staatsbankrott und hinterließ tiefe Spuren im öffentlichen Bewusstsein.
General Bonapartes Putsch 79 Jahre später fand auch deshalb so viel Zustimmung, weil seine Vorgänger ihren politischen Kredit durch Ausgabe sogenannter Assignaten, sprich: Banknoten, verspielt hatten. Wenn Papiergeld erfolgreich sein wollte, dann musste es an den glaubhaften Anspruch, besser gesagt: die Fiktion, geknüpft bleiben, dass die Banknote jederzeit gegen ihren festen Gegenwert in Gold konvertierbar war – denn in Zeiten stabiler Goldpreise wurde gern vergessen, wie schwankend der Boden des Geldwerts war.
Deshalb unterschieden sich die ersten britischen Geldscheine kaum von Schecks und wurden von privaten Banken oft individuell für ihre Kunden ausgestellt. Auch wenn Regierungen die Konvertibilität der Geldscheine garantierten, blieb doch die Beständigkeit des materiellen Korrelats eines Geldscheins Fiktion, eben weil auch das Gold keinen festen Wert besaß. Letztlich beruhte der Erfolg dieser Fiktion auf dem Vertrauen derer, die die Geldscheine annahmen.
Darüber, was passiert wäre, wenn sich alle Benutzer der Banknoten gleichzeitig deren Gegenwert in Gold hätten auszahlen lassen, kann man ohnehin nur spekulieren. So blieb die Banknote nichts anderes als ein Zeichen, das auf ein anderes Zeichen, Gold, verwies. Die Anbindung des Papiergeldes an das Gold war der in Barren gegossene Traum von der Substanz, von einer Wahrheit jenseits menschlicher Bewertungen und Zeichen.
Unübersehbar wurde die Zeichenhaftigkeit des Geldes, als die Staaten einer nach dem anderen den Goldstandard aufgaben. Selbst Münzen blieben nicht verschont – mancherorts ist der Materialwert der kleinsten sogar höher als ihr Nominalwert.
Doch gerade weil nun der Zeichencharakter des Geldes nicht mehr verheimlicht werden konnte, musste man Ersatz schaffen für die Aura der Substanz, die das Geld noch zu Zeiten des Goldstandards umgeben hatte.
Das konventionell festgelegte Zeichen Geld konnte nur funktionieren, wenn man so tat, als sei sein Wert eben nicht Ergebnis einer Gemengelage aus mehr oder minder zu manipulierenden gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren, von denen man einige „politisch“ und andere „wirtschaftlich“ nennt. Es bedurfte einer Inszenierungsform, dank derer das Zeichen Geld wenn nicht als naturgegeben, so doch als Produkt eines mystischen Rituals wahrgenommen werden konnte.
Hatte in der Antike die Autorität des Orakels von Delphi die unsichere Welt menschlicher Normen, Werte und auch Zeichen stabilisiert, so sind es heute die Notenbanken mit ihrer gesetzlich verbrieften Unabhängigkeit, ihrer politischen Entrücktheit und vermeintlichen Neutralität, die die Rolle der Pythia spielen.
Den Rauch, der einst vor der Priesterin aufstieg, ersetzt nun ein Nebel aus Wirtschaftsdaten. So birgt die Funktion der „Währungshüter“ – der Begriff allein zeigt ihre religiöse Überhöhung im öffentlichen Diskurs – einen kleinen Rest jenes Traumes von der Unwandelbarkeit der Zeichen, von der unteilbaren Einheit von Sache und Wert, die man einst dem Geld zuschrieb.
Was auf der internationalen Ebene Allan Greenspan oder Wim Duisenberg repräsentieren, kann heute zumindest der wohlhabende Konsument täglich selbst erfahren. Im Umgang mit dem Plastikgeld, der konsequentesten Anerkennung der Zeichenlogik des Geldes, haben solche Kunden einen eindeutigen Vorteil, deren Kreditkarte golden funkelt. Selbst in seiner abstraktesten Form wagt das Geld nicht, auf den Abglanz der Substanz zu verzichten. Und wie die schönen neuen Münzen und Geldscheine zeigen, tut es auch der Euro nicht. Doch ein Stück Unsicherheit bleibt.
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