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Ein Traum, der längst vorbei ist

Stell dir vor, die D-Mark verschwindet und in Deutschland wird niemand hysterisch. Ein paar Gründe, warum wir den Euro so leicht akzeptiert haben

Der Euro eignet sich nicht zum Träumen. Er ist sachlich wie ein Computer

von GEORG SEESSLEN

Eine Zeit lang wurden wir jetzt im Fernsehen von einer Werbung für den Euro gerührt und genervt, die zunächst gar nicht als solche zu erkennen war. Alte Familienfilme vom Kinderkriegen, Urlaubmachen, Häuslebauen, alles mit der D-Mark. Die Filme sieht man als Projektionen über einer passenden Innenarchitektur, komplett mit Aufputzsteckdose. Eine sanfte Frauenstimme singt dazu, als wollte sie jemanden streicheln, der ganz doll Aua hat, und als wollte sie sich zugleich ihr heimliches Sehnsuchtsideal erträumen.

Das alles, so erfahren wir, waren die Träume, die wir uns mit der D-Mark erfüllt haben, und die sind ja nun so weit weg wie die korpulente Dame im Schwimmreif. Die war damals einfach nur glücklich, heute müsste sie zum Abspecken ins Bassin und wäre sich peinlich. Alte Träume eben. Jetzt aber, so geht das weiter, ist es Zeit für neue Träume. Und für die gibt es den Euro.

Gibt es also doch eine Zäsur? Eine DM-Vergangenheit und eine Eurozukunft? Ganz im Gegensatz zu unseren Beteuerungen, dass sich eigentlich gar nichts ändert – geteilt durch zwei plus zwei Prozent, ist ja nicht so schwer umzurechnen. Keiner soll Nachteile, jeder soll Vorteile haben. Natürlich ist das nicht wahr, jeder Wirtschaftswissenschaftler mit einem in seinem Berufsstand allerdings seltenen Hang zur kritischen Rationalität kann uns erklären, dass wir eine neue Art von Geld bekommen. Geld, das, wenn man mal vom Kaffeeautomaten absieht, anders funktioniert als das alte.

Der Euro wird so leer, abstrakt und willkürlich wie kein Geld in der Geschichte des Zahlungsmittels zuvor. Mit unseren alten Träumen, dem Einfamilienhäuschen, dem Familienauto, der Urlaubsreise, hat es nur noch auf eine sehr kalte Weise zu tun. Unser Schweiß ist diesem Geld völlig egal. Wenn wir den Euro fragen, was er ausdrückt, kann er nur antworten: Ich drücke mich selber aus. Ich bin das Geld im Stadium seiner höchsten Geldhaftigkeit, weit entfernt vom Greenbuck mit dem Glauben „In God We Trust“ und mit dem Versprechen, die Federal Reserve stehe für den Gegenwert dieses Papiers gerade, der zur Begleichung aller Schulden verwendet werden dürfe. Weit entfernt auch von Mark und Pfennig, dem Franc, der Lira, die ihre Geschichte, ihre Wunden, sogar ihre Absurditäten immer miterzählten. Wenn der Dollar der kürzeste Vertrag zwischen Gott und dem Kapitalismus ist, also ewig gestrig und morgig zugleich, dann erzählten die europäischen Währungen Geschichte und Geschichten.

Die andere Seite der D-Mark, der Werbespot erinnert uns daran, war das Träumen. Wenn wir in den Fünfzigerjahren in Urlaub fuhren, dann gab es nicht nur besseres Wetter und besseres Essen, es gab auch Diebe – und einen völlig anderen Umgang mit Geld. In Italien, hörte man, waren viele Menschen bitterarm. Warum aber stopften dann diese Menschen in einem armen Land das Geld voller Verachtung lose in die Tasche, notierten sich Telefonnummern auf die zerschlissenen Lappen? Warum sah man hier nie jemanden so sorgfältig und liebevoll sein Geld anschauen wie bei uns? Na gut, dort gab es Inflation. Das Geld tendierte also von sich aus dazu, sich zu entwerten und verrückt zu spielen. Wenn man es zu ernst nahm, machte es die tollsten Dinge mit einem. Also lasst es eine Art von sexueller Gleichgültigkeit spüren; nicht wie man es bewahrt, sondern mit welcher Geste man es davonwirft, macht unsere Überlegenheit aus.

Auch bei uns hat es einst die Inflation gegeben. Großvater hat sein ganzes Vermögen verloren. Und dann ist der Hitler gekommen. Die Älteren erinnerten sich im Reich der D-Mark noch an die Inflation, die Jüngeren bekamen die Geschichten vom Brot, das eine Milliarde kostete, mit religiöser Inbrunst im Schulunterricht unterbreitet. Die D-Mark war das genaue Gegenteil von Inflation. Eine harte Währung. Das klang wie etwas zwischen einer Schweinerei und einer Drohung. Die D-Mark hat sie alle gefickt, sogar den Dollar hat sie eine Zeit lang weicher gemacht, als seinem Gottvertrauen gut tat.

So etwas hätten wir früher natürlich nie gesagt, wahrscheinlich nicht einmal besonders deutlich gedacht. Es war nur irgendwie ein gutes Gefühl – oder ein schlechtes: Es führte nämlich direkt zu jenem „Die wollen doch nur unsere D-Mark“, die eine der sieben Säulen des neuen Rassismus bildete.

Unsere Geschichte begann mit der „Währungsreform“, mit der Spaltung des Geldes in Ost und West, und damit, dass auf der einen Seite das Geld ein notwendiges Übel, auf der anderen Seite die Sache an sich war. Nirgendwo sonst waren sich Traum und Währung so nah wie in der Bundesrepublik. Deshalb musste am Anfang auch alles, was man mit der D-Mark kaufte, selbst hart sein. Man musste es anfassen können, es musste immer gegen irgendwas geschützt sein, zu leicht sollte es auch nicht sein („Plastik“ war ein Schimpfwort, das man ebenso gut mit „undeutsch“ übersetzen hätte können, und milde Verachtung galt den Brüdern und Schwestern drüben, die mit „Plastikgeld“ zahlten, allenfalls „Plastikbomber“ fuhren – dort war alles „Plaste & Elaste“).

Der D-Mark-Traum war freilich bereits in seiner Anlage der Bewegung absurd. Erst baute man sich mit der D-Mark ein Haus, dann kam das Auto, um möglichst viele Kilometer zwischen sich und ihm zu bringen, dann kam der Urlaub in der Fremde, dann das Fressen, dann der Sex. Wir verstehen: Die Verknüpfung von Währung und Härte war ein Projekt der Selbstaufhebung. Hartes Geld ist in gewisser Weise dummes Geld. Vielleicht waren uns die armen Italiener und ihr Dolce far niente voraus, wenn sie zerknülltes und verkritzeltes Papier auf den Tresen einer Bar warfen.

Unsere harte Mark tat so, als wäre sie das direkte Bindeglied zwischen unserer Arbeit – unserem „Aufbauwillen“ – und unseren Träumen. Zu ihrer „Härte“ gehörte auch, dass Leute, die mit Geld um sich schmissen, mehr als suspekt waren. Leute, die zu viel Geld haben und im falschen Milieu verkehren, waren in der deutschen populären Kultur noch in die Sechzigerjahre hinein gern „Geldschieber“. Gold, Dollar, Francs, DM – das war diesen Schurken ganz egal. Kein anständiger Deutscher indes sehnte sich nach fremden Währungen (genauso wenig wie nach fremden Sexualpartnern). Deshalb war die DM auch ein Mittel gegen eine Luxuselite. Reiche Leute sahen bei uns aus wie Joseph Neckermann. Eigentlich sahen sie selber wie dieses Geld aus. Wenn Onkel Dagobert an Geld denkt, bekommt er Dollarzeichen in die Augen und seine Zunge hängt ihm aus dem Schnabel. Joseph Neckermann wirkte wie eine lebende D-Mark. Hart, bieder, dumm und tückisch.

Der Mythos von der harten D-Mark wurde spätestens in den Siebzigerjahren kontraproduktiv. Es war die Zeit des Zerfließens; die Gedanken zerflossen durch Marihuana und Rockmusik, die Märkte durch die erste sprunghafte Beschleunigung des Geldstroms. Im Übrigen zerbrach auch der Pakt einer linearen Weiterentwicklung der Traum- und D-Mark-Kultur. Teile des Mittelstandes sanken ab, und keine D-Mark konnte sie retten.

Jetzt verstehen wir auch, warum unser Werbespot in der Tiefe eine andere Botschaft hat als an der Oberfläche. Es ist nicht der Schnitt von Mark zu Euro, den er als Gegenwart beschreibt, seine Bilder hören vielmehr am Ende der Siebzigerjahre auf und beginnen abrupt wieder in der Gegenwart. Die zwanzig Jahre dazwischen, die als „Ära Kohl“ bezeichnet werden können, fehlen. Dieser Spot verspricht gar keinen Neuanfang, sondern, im Gegenteil, die Rückkehr zu einer Zeit, als die Gleichung von Träumen und Geld noch aufging.

Da scheinen also drei Diskurse in unseren Köpfen gewaltig durcheinander zu geraten. Zum Ersten mag der Euro eine Geschichte der Verflüssigung des eigenen Geldes beenden. Schließlich waren ja auch die Träume immer flüchtiger geworden. Unsere Kinder verschwenden unser Geld schon nicht mehr für Sachen, sondern für Namen, die auf den Sachen draufstehen. Jedenfalls glaubt kein Mensch mehr, dass es eine sinnvolle Beziehung zwischen Arbeit, Geld und Ware gibt. Das Geld ist seine eigene Parodie geworden – präzis ausgedrückt ist dies in dem Bild von dem großen, dicken Helmut Kohl, der sich Tausender und Tausender in eine Plastiktasche stopfen lässt und es so achtlos behandelt, als wäre es nur was zum Wegwerfen. Klar: Eine gute Tarnung. Aber D-Mark im Plastikbeutel – das geht zu weit.

Joseph Neckermann wirkte wie eine lebende DM. Hart, bieder und tückisch

Dieser flüssigste und achtloseste aller deutschen Geld-Beutel kam als Metapher eigentlich zu spät. Die Sache war sowieso nicht mehr zu retten. Man musste ja schon lange sein eigenes Land verlassen, um die „Macht“ der D-Mark vorgeführt zu bekommen. Die Mark diente nicht mehr dem stationären Familientraum, sondern dem Traum der Mobilität. Die harte Mark wurde spätestens in den Achtzigerjahren flüssig. Klar, dass es da irgendwann nur ein Gegenmittel geben konnte: eine neue Währung.

Der abstrakte, kühle Euro aber ist nicht geeignet, diese Verflüssigung aufzuhalten und neuen Sinn zu stiften. Die Brücken und Fenster, die das neue Geld zieren, sind unverbindliche Kulturzeichen – sie erzählen weniger von Versöhnung oder Dialog als vom leeren Dazwischen. Außerdem sind sie offensiv computergeneriert, ohne Atmosphäre und persönlichen Strich. Phantasie und Erinnerung kann sich hier nur an nackten Zahlen festmachen. Der Euro ist schon in seiner ästhetischen Form bewusst traumlos.

Mit der Mark verschwindet ein leer gewordenes Symbol, das an die Sündenfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte erinnert. Jetzt kommt der Euro, ein klares und rationales Geld, das uns sagt: Schluss mit den dunklen Fantasien, Geld ist Wirtschaft, und was das ist, könnt ihr sogar in euren dümmsten Medien erfahren. Geld ist eben nicht Arbeit, Schweiß und Träume – es ist ein Nichts zwischen allem und jenem, wenn auch ein wirkungsvolles. Alfred Hitchcock hätte Geld vermutlich einen McGuffin genannt. Ein Objekt, das nur durch das, was es in Bewegung setzt, bedeutsam ist. Der kühle Euro verspottet schon jetzt die Verlierer der Globalisierung, der Verflüssigung und der Virtualisierung des Geldes.

Dieses Geld will in zwei Richtungen gleichzeitig. Es treibt die Virtualisierung und Abstraktion des Geldes voran und verspricht andererseits eine Rückkehr zu einem „beruhigten“, vernünftigen Geld. Dazu passt, dass wir es in Plastiksäckchen zum Spielen und Gewöhnen bekommen. Das ist beides: der Beutel mit Gold, das märchenhaft ewigen Wert verspricht, und der Plastik-Einkaufsbeutel, in dem der große, dicke Kohl sein Geld davontrug.

Diese Gesellschaft hat ein tief greifendes mythisches und materielles Geschehen ohne die Hysterie und Dramatik abgewickelt. Das ging, weil die Mark schon lange nicht mehr ist, was sie mal war. Aber dieser Abschied ist fast zu leicht, fast zu selbstverständlich. Er mag sich noch als Symbol-Falle erweisen. Denn eine wirkliche „Erzählung“ zu diesem Wandel gibt es nicht. Es gibt nur Bilder – denn nur Bilder versteht diese Gesellschaft noch. Gute Bilder und schlechte Bilder auf Geldscheinen, die ab jetzt in allen europäischen Soap-Operas gleich aussehen.

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