: Geklebte Wölfe
Späte Würdigung: Zwei Ausstellungen widmen sich dem Werk Hilka Nordhausens ■ Von Hajo Schiff
Über einhundert Sterne hat sie bemalt. Das ist weder weihnachtlich noch esoterisch gemeint, sondern bezieht sich auf die künstlerisch anverwandelnde Umgestaltung eines bekannten Hamburger Magazins. Die Ausstellung, in der diese Hefte exemplarisch zu sehen sind, ist eine Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle. Hilka Nordhausen, der die Schau gilt, ist keine Unbekannte: Immerhin war die von der Künstlerin gegründete und betriebene Buch Handlung Welt zwischen 1976 und 1983 mit 105 Lesungen, 27 Filmvorführungen, 19 Performances und 82 Wandbildern ein Kristallisationspunkt der Hamburger Subkultur – das Buch dagegen dabei stellte dies 1998 erstmals zusammenhängend dar. Hilka Nordhausen blieb somit vielen in Erinnerung als eine Person, die Energie in eine Szene abstrahlte, doch ihre eigenen künstlerischen Arbeiten waren weitgehend in Vergessenheit geraten.
Bei der Schau in der Galerie der Gegenwart und der parallelen Galerieausstellung bei Dörrie & Priess geht es also um eine Wiederentde-ckung der 1949 Geborenen als Künstlerin. Doch auch wenn Hilka Nordhausen in Hamburg studiert und in der hiesigen Marktstraße ihr Kommunikationskunstwerk aufgebaut hat, wurde sie später zunehmend ruhelos. In dem fragmentarisch erhaltenen Tondokument zur wieder zusammengestellten Dreifachdiaprojektion aus dem Lese-Zyklus Melonen für Bagdad sagt sie: „Nirgends bin ich da, außer in meinem Kopf.“ In solcher Unbehaustheit ertrug sie die diesseitige Welt nur 44 Jahre lang, bis sie 1993 in Berlin verstarb. Zugleich Ruhe und Ekstase suchend, verstand sie sich am Ende eher als Dichterin.
Begonnen hatte die Künstlerin in den Siebziger Jahren mit konzeptuellen Zeichnungen. So stehen auch am Anfang der Retrospektive diese bisher unveröffentlichten Untersuchungen zum Zeichenvorgang – nach genauen Regeln, teils nach dem Metronom „geschriebene“ Strichmuster. Später begann die Künstlerin, übermalte Raumzeichnungen fotografisch zu dokumentieren. Hilka Nordhausen wollte mit ihrer Kunst Realität herstellen, und so scheint ihr Schritt zur Buch Handlung Welt, einem selbstorganisierten künstlerischen Begegnungsprojekt, nur konsequent. Fotokopierte Bücher wurden dort produziert und neue Medien ausprobiert. In Demon von Heinz Emigholz, der filmischen Übersetzung des Traktats Unheimliche Analogie von Stéphane Mallarmé, spielt Hilka Nordhausen nicht nur mit, sondern die analytische Fragmentierung des Bild- und Textmaterials ist auch eine von ihr selbst eingesetzte Technik.
In jenem wort- und theorielastigem Klima keimte zugleich die neue „wilde“ Malerei. Hilka Nordhausen begann expressiv zu malen. So entstanden große, bunte Wölfe auf Zeitungspapier, zu Friesen um einen ganzen Raum geklebt, Serien von schwarzen Vögeln und eben die übermalten Magazine. Neben dieser bunten Virtualität sind aber die andauernden Wirkungen der Künstlerin in der hiesigen Szene nicht zu vergessen: Den von Hilka Nordhausen gegründeten Förderverein weltbekannt gibt es noch heute, und auch die Galerie Dörrie & Priess hat eine ihrer Wurzeln in dem einstigen Kunstzentrum Buch Handlung Welt.
Hilka Nordhausen: Montags Realität herstellen, Galerie der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle; bis 10. Februar; Katalog, 132 Seiten: 39 Mark (20 Euro)
Hilka Nordhausen – Arbeiten aus dem Nachlass: Galerie Dörrie & Priess, Admiralitätstraße 71, nach der Neujahrspause noch vom 15. Januar bis 9. Februar 2002 (T: 364131)
Das zitierte Buch, in dem es wesentlich um die Buch Handlung Welt und ihr Umfeld geht: dagegen dabei – Texte, Gespräche und Dokumente zu Strategien der Selbstorganisation seit 1969. Hamburg 1998, 336 Seiten, 45 Mark
Demon von Heinz Emigholz: Der 30-minütige Film von 1976/77 wird täglich (außer samstags) um 14 Uhr im Veranstaltungsraum der Galerie der Gegenwart gezeigt.
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