village voiceUdo Zimmermann als Opernkomponist: Naiv mit Schuss
Da hat wohl jemand vergessen, den Stoff in Farbe zu tauchen. Das Sujet und die Charaktere dieser Oper sind jedenfalls in wahrhaft eintönigstem Schwarz und Weiß gezeichnet. Die Geschichte kreist um den deutsch-nationalen Mühlenbesitzer Johann mit seinen rassistischen Inkriminierungen und den polnisch-jüdischen Mühlenbesitzer Levin, dessen integrer Aufstand ihn als fliehenden Sieger zurücklässt. Ein bisschen Parabel, ein bisschen allegorische Knetmasse, ein bisschen politisch korrekt, ein bisschen alles.
Von der Musik lässt sich das nicht behaupten. Da ist eher der Malkasten ausgelaufen: fahle, pastell getönte Streicher unter beklemmenden Liebesduetten, fieses Braun in den Märschen, die deftigen Genrecollagen werden grob kariert.
Udo Zimmermanns Oper „Levins Mühle“ entstand Anfang der Siebzigerjahre, als sich der gebürtige Dresdener als Exponent des DDR-Musiktheaters längst behauptet hatte. Tatsächlich hat Zimmermann stets einen eleganten Weg zwischen popularisierender DDR-Ästhetik und musikalischer Aufrichtigkeit gefunden. Seine Opern thematisieren brav den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Die Musik gerät darüber dramatisch bis verständlich und hier und da vielleicht ein wenig plump.
Opernmusik brauche einen Schuss Direktheit und Naivität, hatte Zimmermann einmal selbstbewusst erklärt. Aber dieser Schuss kann eben auch nach hinten losgehen. Und man muss schon gelegentlich in Deckung gehen, wenn man die jetzt wieder veröffentlichte Einspielung von „Levins Mühle“ hört. Zunächst stehen einem die Fingernägel zu Berge: hier ein Bänkelgesang in Brecht/Weill’scher Manier, zurückhaltendere Momente kopieren Claude Debussy, und auch das Genre-Zitat ist als musikdramatisches Mittel keine unerschöpfliche Größe: Alban Berg lässt grüßen, morgen kommt er selbst. Man ist also zunächst geneigt, sich beschämt von diesem Machwerk abzuwenden, das unter den damaligen Umständen – man gibt sich großzügig bis verständnisvoll – gewiss ein rechtes Stück zur rechten Zeit gewesen ist.
Lässt man avantgardistischen Hochmut und musikästhetische Ansprüche jedoch auf einige Minuten fahren, zeigt sich Zimmermanns Oper von einer anderen Seite. Diese Musik packt zu. Und sie kennt nur eine einzige Prämisse: Sie will wirklich um jeden Preis und unbedingt dramatisch erzählen. Da wird noch der akademischste Kontrapunkt zum dramatischen Mittel, indem die zweite Stimme den verrätselten Text der ersten kommentiert und erläutert.
Zimmermann versteht seine Musik, wie er selbst einmal bekannte, als Kamera, „die Wesentliches von Unwesentlichem trennen kann, mal eine Totale gibt, anderes in Nahaufnahme hervorholt, auch hinter die Figuren und Vorgänge blickt“. Wilde Fahrten, harte Trennschärfen, verzerrende Filter und Objektive – Zimmermann glänzt als musikalischer Kameramann. Hinzu kommt, dass der Leipziger-Opernstab, der diese Aufnahme bestreitet, man schwärmt ja ungern, wirklich brillant musiziert. Angesichts der Textverständlichkeit der Gesangspartien gewinnt die Tonträgerfassung beinah Hörspielqualität.
Udo Zimmermann ist heute Intendant der Deutschen Oper Berlin. Wenn die Beherrschung des Bühnenhandwerks für diesen Posten eignet, dann hat die Kulturpolitik genau den Richtigen ausgesucht. Dass Zimmermann dabei nicht richtig zum Komponieren kommt, ist indes ein Verlust, den wir mit stoischem Gleichmut erdulden.
BJÖRN GOTTSTEIN
Udo Zimmermann: „Levins Mühle“ (Berlin Classics/edel)
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