Mit Freude und Frechheit

Der Schweizer Simon Ammann steht für die spaßbetonte Skisprungphilosophie seines Teams und wird beim zweiten Springen der Vierschanzentournee Fünfter. Es siegt erneut Sven Hannawald

aus Garmisch KATHRIN ZEILMANN

Schweizer Skispringer leben während der Vierschanzentournee bescheiden. Jugendherbergsflair, während eines Mediengesprächs im Speisesaal surrt ein Kühlschrank. Ungewöhnlich viele Journalisten haben sich eingefunden, um zu lauschen, was das Schweizer Team zu erzählen hat. Der Grund heißt Simon Ammann, 20 Jahre alt, 1,70 Meter groß und 50 Kilogramm schwer. Der landete nämlich beim Weltcup in Engelberg überraschend auf Platz zwei, ließ in Predazzo weitere einstellige Weltcupplätze folgen und wurde beim Auftakt der Vierschanzentournee Dritter hinter Sven Hannawald und Martin Höllwarth (Österreich).

Und auch ihm ist die Bescheidenheit des ganzen Teams zu Eigen. „Dass ich hier sitze, sagt doch schon alles. Was will ich noch mehr?“, fragte er bei der Siegerpressekonferenz in Oberstdorf. Und: „Ich weiß nicht, ob es so weitergehen wird. Die Weltspitze ist so nahe beisammen. Sie dürfen nicht glauben, dass ich immer aufs Podest springen kann.“

Prophetische Worte, was das gestrige zweite Springen der Vierschanzentournee betraf, bei dem Ammann Fünfter wurde. Es gewann erneut Sven Hannawald, der mit 122,5 und 125 Metern zweimal Bestweite sprang, vor Andreas Widhölzl (Österreich) und dem Polen Adam Malysz. Damit führt der 27-Jährige klar in der Gesamtwertung.

In der Schweiz ist Skispringen meilenweit von der Popularität hierzulande entfernt. Simon Ammann könnte diese Sportart jedoch um einiges bekannter machen. „Ich habe nach Engelberg schon mehr Trubel verspürt“, sagt er. In den letzten Jahren waren die eidgenössischen Springer in den Ergebnislisten meist weit hinten zu finden. Für Gesprächsstoff sorgten eher die Querelen, die sie mit ihren Trainern hatten. Der ehemalige DDR-Spitzenspringer Jochen Danneberg zum Beispiel sollte den Schweizern zum Erfolg verhelfen, doch er scheiterte. In Kampagnen bis hin zum Trainingsboykott sorgten die Athleten für die Ablösung des Trainers. „Es ist nicht alles glatt gelaufen damals“, gibt Sylvain Freiholz heute zu. „Es war ein Mentalitätsproblem“, meint Berni Schödler, 30, der jetzt Cheftrainer ist.

Er, der ehemalige Assistenzcoach, hat keine Schwierigkeiten mit seinen Schützlingen, im Gegenteil. „Mit Berni kann ich auch einmal einen Kaffee trinken gehen, ohne über Skispringen zu reden. Das ist sehr wichtig für mich“, sagt Andreas Kuettel. „Skispringen muss zuerst einmal Spaß machen. Druck übe ich keinen aus. Jeder soll nach dem Wettkampf sagen können, dass er mit sich und seinem Resultat zufrieden ist“, lautet Schödlers Trainingsphilosophie. Die hat sich – zumindest im Falle Ammann – ausgezahlt. Das restliche Team sucht noch nach seiner Form. „Aber wir sind besser, als es die Listen momentan zeigen“, ist Gary Furrer vom schweizerischen Skiverband überzeugt.

„Skispringen, das ist Lebenseinstellung“, sagt Landwirtssohn Ammann, und Schödler nickt. „Simon ist mit Freude bei der Sache“, so der Trainer über seinen Musterschüler, „und er hat die Frechheit, die es braucht.“

Schon einmal, vor vier Jahren in Oberstdorf, glänzte der junge Schweizer mit einem 15. Rang, versank aber kurz danach wieder in Vergessenheit. „Es sind viele Mosaiksteinchen, die jetzt endlich zusammenpassen. Schon im Sommer habe ich gemerkt, dass es wieder besser klappt.“ Den ersten Teil des Abiturs habe er mittlerweile abgelegt, dank einer Sonderregelung kann er die restlichen Prüfungen im Sommer machen. „Das hat Druck genommen. Ich kann mich momentan voll auf das Springen konzentrieren“, erklärt Ammann.

Dass dem Skispringen ein solches Entgegenkommen widerfährt, sei in der Schweiz selten, wie Teamkollege Andreas Küttel anmerkt. „Wir müssen arbeiten oder studieren. Und nebenbei noch trainieren. Andere Nationen können sich voll aufs Springen konzentrieren.“ Da hapere es noch, findet Schödler. „Von Bedingungen wie in Deutschland, Österreich oder Finnland können wir nur träumen.“

Vollkommen zufrieden könne er erst sein, wenn es auch in der Schweiz wieder viele Nachwuchstalente gebe. Doch dazu brauche es die lang gewünschte Mattenschanze in Einsiedeln. „Noch haben wir keine sommertaugliche Schanze. Wenn wir zum Trainieren wollen, müssen wir drei, vier Stunden fahren. Dass Jugendliche dies auf sich nehmen, ist eher selten der Fall.“ In Einsiedeln sind nicht alle begeistert von der Idee des Schanzenbaus, nachdrücklich wendet sich Schödler an die Schanzengegner: „Wenn dieses Projekt nicht realisiert werden kann, geht es mit dem Skisprung bei uns nicht mehr vorwärts.“