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Rückwärts gewandte Ideologie

betr.: „Wenn die Familien zerbröseln“, taz vom 27. 12. 01

Leider versucht Harry Kunz die Ursachen der Misere wieder einmal einseitig „der Familie“ in die Schuhe zu schieben. Nicht genug damit, dass er Eltern und Familien pauschal als die großen Versager dastehen lässt, weder fähig, ihren Kindern Zeit und Liebe zu geben, noch, ihnen Werte und Bildung zu vermitteln, verknüpft er seine rückwärts gewandte Ideologie auch noch mit den falschen Schlussfolgerungen zur Bildungspolitik und verhindert somit erste Ansätze einer offengeführten Diskussion über eine längst überfällige Reform der Schul- und Familienpolitik. [. . .]

Damit Eltern ihren Erziehungsauftrag erfüllen und ihren Kindern all jene zu Recht geforderten ideellen, aber auch materiellen Bedürfnisse erfüllen können, sind sie dringend auf gewisse strukturelle Rahmenbedingungen angewiesen. Staatliche Institutionen sollen die vermeintlichen und tatsächlichen Versäumnisse der Eltern gar nicht ausgleichen, sondern Eltern darin unterstützen, dass es zu solchen Versäumnissen und dem attestierten Versagen erst gar nicht kommt. Familiäre Voraussetzungen, die der kindlichen Entwicklung förderlich sind, entstehen nämlich nicht im luftleeren Raum, sondern bedürfen der gesellschaftlichen und eben auch der institutionellen Hilfestellung. Und genau diese Unterstützung fehlt im gegenwärtigen Bildungssystem. [. . .] Ganztagsschulen und adäquate Betreungsangebote sind ein Gebot der Stunde, denn die Mehrzahl der Eltern muss sich auf die eine oder andere Weise mit den „Zwängen des flexiblen Kapitalismus“ auseinander setzen.

Ich glaube nicht, dass Eltern die Erziehung ihrer Kinder auf den Staat und seine Institutionen abwälzen wollen, weil sie der Meinung sind, dieser sei dafür zuständig, sondern vielmehr nach Hilfe rufen, weil sie ganz einfach überfordert sind. [. . .] Dabei möchte ich betonen, dass ErzieherInnen und LehrerInnen sich ebenso wenig aus der Verantwortung stehlen können wie Eltern oder Staat. Jede/r muss an seinem/ihrem Platz den Beitrag zur Erziehung und Bildung unserer Kinder leisten, der ihm/ihr zukommt. Und dieser gemeinsame Erziehungsauftrag von Staat und Familie muss sich endlich an den realen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts orientieren. CHRISTINE TRENGLER, München

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