: So köstlich, so erlesen, so wunderbar
■ Das zweite Konzert der Reihe „Italienische Festmusik“ in Unser Lieben Frauen präsentierte die erste Raum-Musik der abendländischen Geschichte
Ein Mitglied der französischen Botschaft von Venedig berichtet 1607 über eine Weihnachtsmesse in San Marco in Venedig: „ ... mehr als 1000 Kerzen und 60 riesige Fackeln erhellen den weitverzweigten Raum ... Gedränge von Patriziern, Senatoren, Priestern und Bürgern ... von überall her erklingen acht Chöre mit Stimmen und Instrumenten...im Mittelpunkt der Doge im goldenen Gewande auf goldenem Throne ...“
Ganz so aufwendig präsentierte sich das zweite Konzert der Reihe „Italienische Festmusik“ des Ensembles Weser-Renaissance Bremen nicht, aber eine Vorstellung von dem, was die berühmte venezianische Mehrchörigkeit, die an der Basilika entstand und um 1600 ihren Höhepunkt erreichte, gewesen sein könnte, vermittelte das allein bereits von seiner Klanglichkeit her überwältigende Konzert in Unser Lieben Frauen unter der Leitung von Manfred Cordes in hohem Maße.
Cordes hatte links vom Altar die Streicher (Violinen und Violen da gamba) postiert, am Altar die Orgel und die SängerInnen, oben im fensterlosen Christophorussaal die Bläser (Zinken und Posaunen). Selbstredend wurden diese Formationen je nach Erfordernissen der Kompositionen variiert – besonders dadurch, dass den Instrumentalgruppen einzelne SängerInnen zugeordnet wurden.
Im Zentrum stand das Werk von Giovanni Gabrieli, der von 1584 bis zu seinem Tod 1612 Organist an San Marco war, ihm folgte als „Maestro di Capella“ dreißig Jahre lang Claudio Monteverdi. Charakteristisch für die Interpretationen dieses Ensembles war gerade nicht äußerliche Prachtentfaltung, sondern eine gespannte Nach-Innen-Nahme, die mit faszinierender Genauigkeit der rhythmischen und polyphonen Verflechtungen einherging: So lockte gleich zu Anfang das große 16stimmige „Audite principes“ in seinem charakteristischen Wechsel von üppigen Tuttiklängen und fast kammermusikalischen Gruppenpassagen ebenso zu einer meditativen Haltung wie die Wiedergabe des 12-stimmigen Magnificat.
Es war in höchstem Maße bewundernswert, wie Manfred Cordes die 21 fabelhaften MusikerInnen durch das komplexe Klanggeschehen lotste und welch virtuose und differenzierte Artikulationen immer durchhörbar waren.
Ergänzt wurde das Programm mit drei siebenstimmigen Stücken von Claudio Merulo, der ebenfalls zur Zeit Gabrielis Organist an San Marco war und dessen Stil sowohl durch eine ausgefeilte kontrapunktische Satztechnik als auch eine tiefe Ausdruckskraft charakterisiert werden kann.
Und so können wir uns mit einem zeitgenössischen Bericht identifizieren, den 1608 der Engländer Thomas Coryat schrieb: „Das Fest bestand in der Hauptsache aus Musik, die gesungen und gespielet wurde, so gut, so köstlich, so erlesen, so wunderbar, so über alle Maßen excellent, daß sich alle Fremden, die nie derlei gehört, darüber sehr verwunderten.“
Ute Schalz-Laurenze
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