: Die Sportart Terroristenjagen
In einem „E-Sport-Center“ wird der Kampf gegen den Terror bis zur Perfektion nachgespielt. Das Blut fließt nur am Bildschirm, das Adrenalin ist echt
aus Berlin JENS GERDES
Schüsse hinter dem Torbogen. Zierfisch robbt näher an die Gefahrenstelle heran, die Heckler & Koch USP Kaliber .45 im Anschlag. Ein Terrorist kommt von rechts, rennt ihm förmlich in den Lauf. Er braucht nur noch abzudrücken, schießt zweimal, dreimal. Wie eine mit Wucht auf die Brust des Terroristen geschleuderte, vollreife Tomate zeigt spritzendes Blut den Treffer an. Der Terrorist stürzt. Direkt hinter dem Tor bietet eine Kiste Deckung, Zierfisch duckt sich.
Marco Schwarz ist 19 Jahre alt, wird im Januar 20. Im nächsten Sommer macht er sein Abitur und danach wahrscheinlich eine Lehre bei der Polizei. „Ich will Terroristen jagen“, sagt Marco. Er lacht. „Nein, war nur ein Scherz. Ich will für Recht und Ordnung sorgen.“ Den größten Teil seiner Freizeit verbringt Marco damit, zu trainieren. Am Computer. Während die rechte Hand ruhig die Maus bedient, fliegt die linke virtuos über die Tastatur, ohne dass er dafür den Blick vom Monitor lösen müsste. Marco ist Zierfisch.
Im Berliner „E-Sport-Center“ stehen 20 Computer. Davor sitzen durchweg Jungs, die meisten im Alter zwischen 14 und 20 Jahren. Marco und seine Freunde spielen „Counter-Strike“, Gegenschlag. „Meine Eltern sagen: ‚Du gehst ja nur dahin, um Computer zu spielen und zu töten.‘ Das ist es aber nicht. Man hat seine Freunde hier, unterhält sich. Von fünf Stunden, in denen ich hier bin, beträgt die reine Spielzeit meistens nur zwei Stunden“, erklärt Marco.
Einzelkämpfer sind chancenlos
In diesen zwei Stunden kommunizieren die Spieler ständig miteinander: Sie schicken sich Kurznachrichten auf den Bildschirm, halten Funkkontakt oder sprechen direkt miteinander. Denn „Counter-Strike“ funktioniert nur im Team, Einzelkämpfer sind chancenlos. Genau das, betont Marco, sei der entscheidende Unterschied zu allen anderen Computerspielen, das mache den besonderen Reiz aus.
Ständige Tipps, Anweisungen, Warnungen: Wenn einer ein Terroristenversteck entdeckt hat, müssen seine Mitspieler das sofort erfahren. Die einfache Rückendeckung funktioniert ebenso wenig ohne Koordination wie das hochkomplexe Manöver. Die Spieler tragen Kopfhörer, damit sie jedes Geräusch zuordnen können. Kommt ein Gegner von links, sind auch die Schritte im linken Kopfhörerteil zu hören. Wie Piloten im Cockpit sitzen die Spieler konzentriert vor ihren Computern, und dank Kopfhörern und Funkmikrofonen fließen die Informationen. Dass dadurch auch zusätzliches Adrenalin fließt, bestreitet Marco. „Das dient einfach der besseren Kommunikation. Jede Fußballmanschaft verspürt vor dem Anstoß einen Adrenalinanstieg.“
Auf dem Dach des Gebäudes gegenüber erscheint für den Bruchteil einer Sekunde der Haarschopf eines Terroristen über der Balustrade. Zierfisch weist einen Mitspieler an, aus der Deckung heraus das Feuer zu eröffnen, wechselt ruhig die Waffe, springt auf und feuert einige Salven mit dem Colt Carbine M 4 A 1 auf die Stelle, wo er den Terroristen vermutet. Intervallartig drückt er ab, lässt regelmäßig kurz los, damit das Maschinengewehr nicht verzieht. Getroffen!
Yilmaz Ozan verspricht sich von dem Spiel mehr als bloße Unterhaltung. Der 29-jährige hat Anfang November das E-Sport-Center eröffnet – um die Computerspielszene auch in Deutschland zu professionalisieren, wie er sagt. Bereits jetzt, behauptet Ozan, spielten über zwei Millionen Deutsche regelmäßig „Counter-Strike“ – zu Hause, aber übers Internet vernetzt. Und die Zahl steige rapide an. Das digitale Zocken um größere Geldsummen steckt hierzulande zwar noch in den Kinderschuhen, und noch ist das E-Sport-Center bundesweit einmalig. Aber warum nicht der Entwicklung nachhelfen? „Netzwerkläden wie das E-Sport-Center sind dringend notwendig“, sagt Ozan, „um Organisations- und Trainingsmöglichkeiten zu bieten.“
Und ein guter „Clan“, so heißen die Counter-Strike-Teams, braucht viel Training, um besser zu werden. Nach rund zwei Stunden könne man Counter-Strike zwar spielen. Aber: „Um so gut wie die zu werden“ – Ozan nickt in den Raum – „muss man schon täglich zwei bis drei Stunden trainieren.“ Er beeilt sich hinzuzufügen: „Wie bei jeder anderen Sportart auch.“
Im E-Sport-Center gibt es für die Elite einen separaten VIP-Raum mit fünf Rechnern. Zwei namhafte Clans trainieren hier regelmäßig: „Mystical Lambda“ und „Oz“. Talente wie Marco hat Ozan zudem mit eigenen Privatrechnern ausgestattet, damit sie auch zu Hause regelmäßig trainieren können. „Nächstes Jahr“, glaubt Ozan, „sind wir so gut, dass wir Turniere gewinnen, die mit 20.000 bis 30.000 Mark dotiert sind.“ Bis dahin müsste nur noch geregelt werden, wie viel vom Gewinn er in seiner Rolle als Sponsor, Förderer, Organisator bekommt und wie viel seine Clans.
Trotz eigenem Rechner zu Hause ist Marco am liebsten hier. Das E-Sport-Center ist nur 15 Minuten von seiner Schule entfernt, deshalb kommt er oft direkt nach Schulschluss. „Dann habe ich mein Schulzeug dabei und kann hier auch lernen. Hier habe ich zu essen, zu trinken und in dem Raum unten auch Ruhe.“ Am Wochenende übernachtet er sogar häufig hier. Und ungefähr einmal im Monat stehen LAN-Partys an. Da treffen sich die Clans, die sonst nur im Internet gegeneinander spielen. Sie bringen ihre Rechner mit und klinken sich in dieses Netzwerk ein: das ‚Local Area Network‘. „Früher hieß das drei Tage Zocken ohne Schlaf“, berichtet Marco, als erinnere sich ein alter Recke an seine wilden Zeiten. Heute gelte für ihn: „Profis müssen schlafen.“ Schließlich stelle sich bei Übermüdung in den lüftungskühlen Hallen schnell unprofessionelles Zittern ein. Das darf nicht sein, schließlich geht es nicht nur um Ruhm und Ehre, sondern auch um Qualifikationspunkte für Meisterschaften.
Wie eine Weltmeisterschaft, die am 18. Januar in Rheinberg am Niederrhein in einer Messehalle ausgetragen wird. Hier gibt es Sachpreise zu gewinnen, etwa ein Smart-Auto. Beim „Cyberathlete Professional League“-Turnier, das Anfang Dezember im texanischen Dallas stattfand, winkten dem Sieger sogar 50.000 Dollar Preisgeld, insgesamt kämpften Terroristen und Polizisten um 150.000 Dollar Preisgeld. Geld für die virtuelle Verwirklichung terroristischer Ziele, gesetzt den Fall, Terroristen siegen? Nein, nein, in der offiziellen Sprachregelung kämpfen „offensive“ gegen „defensive“ Teams.
Bloß nicht mit Wattebäuschen
Vor lauter politischer Korrektheit wäre nach dem 11. September beinahe das Spiel umprogrammiert worden: Statt im Bombenlegen hätte die Aufgabe des „offensiven Teams“ nur darin bestanden, Sender zu installieren. Die Proteste der Spieler verhinderten das. Marco sagt entrüstet: „Ich will meine Gegner doch nicht mit Wattebäuschen bewerfen!“
Marco, der demnächst für die Polizei arbeiten will, übernimmt auch im Spiel immer wieder die Aufgabe der Polizisten. Was für ihn rein spielimmanente und realitätsferne Gründe hat: Die Waffen der Polizisten gefallen ihm besser. „Und, wenn ich ehrlich bin: Die Aufgaben sind manchmal auch leichter.“
Aber auch nach dem 11. September weigert sich niemand, in Terroristenteams zu spielen. „Die ganze Community“, sagt Marco, „kann das auseinander halten.“ Counter-Striker verweigerten genauso oft den Kriegsdienst wie andere Jugendliche, die mit Computerspielen nichts zu tun hätten, glaubt er. Und der Krieg in Afghanistan, also der echte? Marco bläst die Backen auf, lässt die Luft langsam entweichen. Der habe schon seinen Zweck, Bin Laden müsse geschnappt werden. Aber der Bevölkerung gegenüber sei der Krieg natürlich unfair. Dagegen gibt es bei Counter-Strike keine zivilen Opfer. Counter-Strike, so sieht es Marco, spielt nicht in die Meinungsbildung hinein. „Die meisten hier gehen noch zur Schule. Dort muss man sich eine Meinung bilden.“ Nicht hier.
Ob solche Computerspiele den Jugendlichen schaden, untersucht an diesem Tag das Team eines Berliner Fernsehsenders. Der etwa 50-jährige Kameramann hält gar nichts von Computerspielen. Eine kurze Drehpause im VIP-Raum füllt er mit Sprüchen, während die Jungen an den Computern sitzen. „Für so was Geld auszugeben.“ Die Spieler sind ungerührt. Die nächste Einstellung soll gedreht werden, das Team bleibt mit den Jugendlichen im VIP-Raum alleine. Einige Augenblicke vergehen hinter der geschlossenen Tür, dann kommen einige Jugendliche heraus. Einer berichtet, die Redakteurin habe von den Tischen im VIP-Raum etwas verstreut herumliegenden Müll eingesammelt. Gezielt habe sie Verpackungen von Süßigkeiten neben einen Rechner angehäuft. Die E-Sportler regt das auf. Sie wollen mit dem Klischee vom blassen, sich ungesund ernährenden Computerspieler nichts zu tun haben.
Eine Blendgranate explodiert. Hektischer Rückzug durch den Gang hinter dem Torbogen. „Verdammt, wer hat die Blend geworfen?“ Wo Zierfisch eben noch stand, wird mittlerweile heftig gefeuert. Zierfisch lädt die Waffe nach, prescht wieder vor, sichert beim Sprung durch das Tor blitzschnell nach rechts und links, erwischt einen Terroristen – und wird von einem anderen getroffen. Er ist tot, das Bild kippt seitlich weg. Eine knarzige Stimme verkündet: „Terrorists win!“
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