: Der neuen tollen taz-Serie zweiter Teil
■ Morgens um fünf im Heartbreak-Hotel: Der Ausgeher spendiert voller Berechnung einen Erdbeer-Lime – wieder mal ohne Erfolg
Fünf Uhr morgens. Der Zeitungsausträger grüßt mich und steckt seine druckfrischen Röllchen in die Briefkästen. Der Mann ist fit für den Tag, ich bin nach dem Besuch bei Freunden noch fit für die Nacht. Wo bestell ich den nächsten Drink, der mich aus dieser Grauzone bringt? Ich stehe vorm Römer, zögere. Nein, hier war ich Weihnachten schon. Außerdem schließen die in knapp einer Stunde. Ich entscheide mich fürs Heartbreak-Hotel. Garantiert offen, bis auch die letzten Vögel aus den Federn kippen. Ich setze mich auf den Barhocker neben dem Zigarettenautomaten und lasse den Laden auf mich wirken. Kronleuchter mit elektrischen Lampen, 60er Jahre Tapete mit Ornamenten, alles in Rot.
Früher war das wohl mal ein Puff. Heute lebt hier der Geist von Elvis und Eduard Zimmermann – zumindest sind die beiden, die soviel Ähnlichkeit haben wie ein Champagnerglas mit einer Kaffeetasse – bildlicher Teil der Dekoration. Manchmal lässt sich hier auch ein echtes Elvis-Imitat sehen.
Mit Schmalz in den Haaren statt auf dem Brot frönt der Rockabilly im weißen Satinanzug dem Daseinsgenuss. Is nich mein Bier, denk ich, während sich ein Typ zu mir an den Tisch setzt und ein Sektglas zu mir rüberstellt. Ja, das ist das Problem im Heartbreak-Hotel: Manche Männer nehmen den Namen sprichwörtlich und versuchen hartnäckig, bevor der Eiermann durch die Straßen läutet, eine Frau für sich zu gewinnen. Er heiße Pete, erklärt mir mein Gegenüber. Soso, sage ich. Er habe mich Weihnachten im Römer gesehen, das Heartbreak-Hotel sei sein zweites Wohnzimmer und er so eine Art klassischer Ausgeher.
Für mich ist er eher ein klassisches Lonely Heart: Lange Haare, runde Brillengläser, so Mitte dreißig. Zumindest hat er sympathische Lachfalten, die an ein frisch geharktes Frühjahrsbeet erinnern. Sein Körper hingegen ist teigig wie ein Kuchen vor der Fahrt in den Backofen. Er lallt seine Nummer runter: Wie heißt Du, was machst Du, bist Du öfter hier. Ich frage mich, ob er damit jemals Erfolg hatte. Ich trinke den Sekt und erzähle ihm, ich studiere Behindertenpädagogik. Das tue ich zwar nicht, doch meine Mitbewohnerin hat sich diesem Metier verschrieben und wir teilen eben nicht nur das Essen. Er glaubt mir, und ich finde es unglaublich, wie schnell ich in dieser Schublade verschwinde und er mir seine dazugehörigen Assoziationen auf den Leib schreibt.
Nein, so etwas hätte er sich ja schon fast gedacht. Ich wirke so sozial, könne bestimmt gut mit Kindern und hätte das gewisse Feingefühl aber auch eine Abgebrühtheit, die dieser Job wohl verlange. Ich drücke meinen Glimmstengel im Zigarettenfriedhof aus und im gleichen Maße wie sich dieser füllt, leert sich mein Kopf. Pete bestellt mir noch einen Erdbeer-Lime, ein sehr fruchtiger Schnaps, der meine trockene Kehle erfrischt. Jonny Cash schmettert „Ring on fire“ aus der Anlage. „Schade, dass der Fernseher, auf dem sonst immer die Russ-Meyer-Filme liefen, kaputt ist“, bedauert Pete. Ich blicke in die Runde. Neben der Frau hinter der Theke bin ich das einzige weibliche Wesen im Raum.
Es ist acht Uhr dreißig. Pete geht aufs Klo, ich geh vor die Tür. Die Vögel zwitschern und ihr Gesang ist die Einzige Begleitung, die mich nach Hause bringen darf.
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