zwischen den rillen: Gotan Project rächen den Tango, Kid Loco sich selbst
Französische Revolten
Erfunden wurde er nicht in Paris, der Tango. Aber von dort aus trat der Nahtanz Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Siegeszug rund um den Globus an.
Eine Jahrhundertwende später, und der Tango ist wieder da. Und wieder nimmt von Paris aus eine neue Revolution ihren Lauf. Eine kleine zwar nur, aber immerhin: Der letzte Tango aus Paris ist diesmal elektronisch. Und eine Musik, die manche schon am liebsten ins Altersheim eingewiesen hätten, erlebt dadurch einen zweiten Frühling, ganz so, wie der fette Marlon Brando in dem gleichnamigen Filmklassiker.
Der Franzose Philippe Cohen Solal und der Schweizer Christophe H. Mueller sind verantwortlich für die Wiederkehr des alten Tangoklangs im neuen Club-Outfit. Beide DJs, bekannt auch als „Boyz from Brazil“, haben sich schon mit brasilianisch inspirierten Remix-Tracks hervorgetan. Dann haben sie sich ein Stückchen weiter südlich umgeschaut und sind dort auf noch weitgehend unberührtes Terrain gestoßen. Denn die Tuchfühlung des Tangos mit der Welt aus Downbeat, Dub und TripHop-Rhythmen trägt, im Unterschied zur Liaison aus Elektronik und Bossa nova, bislang noch den Reiz des Unverbrauchten. Mit dem argentinischen Gitarristen Eduardo Makaroff produzierte das Duo bereits 1999 erste Tracks, die unter Freuden des guten Geschmacks für manch hochgezogene Augenbraue sorgten.
Das liegt auch daran, dass die ungewöhnliche Kombination keineswegs erzwungen klingt, im Gegenteil: Statt einen Klassiker des Tango Nuevo wie Astor Piazzollas „Vuelvo al Sur“ als Sample einfach nur auf ein paar modische Rhythmen zu schnallen, wie das Puff Daddy vielleicht getan hätte, wurde das Stück mit Hilfe der Sängerin Cristina Villallonga neu eingespielt und sorgsam das Akustische mit dem Elektronischen ausbalanciert. So pumpt der Atem des Bandoneons, dem kleinen Bruder des Akkordeons, den Beats vom Rechner organische Wärme ein und hallt von diesen, in Dub-Echos verdoppelt, wieder zurück. Das sensitive Moment der Musik aber bleibt bewahrt, selbst wenn sie sich zum House-Höhenflug aufschwingt. Das macht „La Revancha Del Tango“ zur süßesten Versuchung, seit es Lounge-Musik gibt. Man kann dazu zwar nicht tanzen. Dafür aber seinen Gedanken nachhängen, allmählich auf dem Barhocker wegdriften und halluzinieren, hinter dem Tresen ein Einhorn hoppeln zu sehen. Oder kleine Elfen, die einem gerade unbemerkt etwas Sternensand ins Cocktailglas stäuben.
Nicht nur verbindet das Gotan Project mit seiner perfekten Synthese zwei Welten, die sich bislang nicht berührt haben. Es wird auch mindestens zwei Hörergruppen zusammenführen, die bislang denkbar weit auseinander lagen: Es spricht die Nu-Jazz-Hipster an. Und es wird auch eher trendresistente Liebhaber finden, die Neuem gegenüber prinzipiell skeptisch sind. „La Revancha Del Tango“ läuft vermutlich schon jetzt in ihrem Stammcafé an der Ecke, als Geräuschkulisse im Hintergrund so unvermeidlich wie das aggressive Zischen des Milchschäumers, und wird sich von dort aus in den Haushalten der Umgebung verbreiten, so rasant wie ein Grippevirus zur Winterzeit: das Konsensalbum der Saison.
Es hätte sonst auch von Kid Loco kommen können, einem anderen Reglerstar aus Paris. Mit seinem Erfolgsalbum „A Grand Love Story“ hatte er bewiesen, dass auch er sich auf die Kunst der suggestiven Verführung versteht. Vom Strom des Wohlklangs umspült wie von sanften Wellen und von tröpfelnden Tabla-Beats und zirkulierenden Rhythmen eingelullt, mochte man damals gerne in das sinnliche Seufzen einstimmen, das da einem weiblichen Mund entwich. Doch beim Einschieben des neuen Kid-Loco-Albums glaubt man erst, sich geirrt zu haben, erinnert das Gitarrengeschrammel zunächst eher an einen John Cougar Mellencamp. Erst nach ein paar Sekunden löst sich die Irritation wieder in Wohlgefallen auf.
Kid Loco, der seine sanftmütigen Kollegen von Air schon mal als „French Shit“ bezeichnet, begreift sich als Punk unter den DJs. Doch seine Provokation beschränkt sich aufs Verbale und auf Albumcover mit viel nackter Haut: Seine Musik dagegen ist das reinste Entspannungsbad, da macht auch „Kill Your Darlings“ keine wirkliche Ausnahme. Wie gewohnt mit orchestralem Zuckerguss überzogen, wirkt es in seinem englischen Songwriter-Sound zwar fast wie ein elektronisch veredeltes Lloyd-Cole-Album, als wäre es über weite Strecken mit der Gitarre am Kaminfeuer eingespielt worden. Doch wahrscheinlich ist das bloß Kid Locos Rache dafür, dass man ihn versehentlich mit seinen „French Touch“-Feinden wie Air in eine Schublade gesteckt hat.
DANIEL BAX
Gotan Project: „La Revancha DelTango“ (¡Ya Basta!/PP Sales);Kid Loco: „Kill Your Darlings“(Yellow/eastwest)
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