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ARGENTINIEN UND VENEZUELA SUCHEN IHR HEIL IM POPULISMUSIm Rückschwung gegen die Neoliberalen

Ein Jahrzehnt lang durfte man hoffen, der Populismus in Lateinamerika sei tot: jene Masche charismatischer Präsidenten nämlich, Gelder mit der Gießkanne zu verteilen und Armut durch Mildtätigkeit zu bekämpfen. Mit nachhaltiger Entwicklung hatte dieser Politikstil nichts zu tun. Im Gegenteil: Weil die Regierungen ihren Schein-Segen meist über Anleihen und Gelddruck finanzierten, produzierten sie Hyperinflationen, häuften riesige Schuldenberge an und würgten damit die Entwicklung der nachfolgenden Generation ab.

So wurden nach den 80ern, dem „verlorenen Jahrzehnt Lateinamerikas“, die 90er-Jahre für die meisten Länder des Halbkontinents zu einer Zeit des Sparens und der Währungsstabilisierung. Das war im Prinzip richtig und gilt auch für Argentinien, wo die Menschen schon einmal die Supermärkte plünderten, weil die Inflation ihren Lohn auf dem Weg von der Fabrik nach Hause auffraß. Auch die Bindung der argentinischen Währung an den Dollar, um die Geldvernichtung zu unterlaufen, war zunächst gut. Nur hätten die Argentinier ihren Peso wieder lösen müssen, als der Dollar immer stärker wurde. Denn im Gleichklang wertete die argentinische Währung auf und machte die Produkte des Landes als Exportgüter unerschwinglich. Die Strafe folgte – die unterlassene Entkopplung führte Argentinien in eine tiefe Rezession.

Dass die Argentinier den richtigen Zeitpunkt für einen Ausstieg aus der Dollarbindung verpassten zeigt, wie sehr ihnen die zerrütteten Finanzen unter die Haut gegangen waren. Die Vorstellung, eine Währung so stark wie der Dollar zu besitzen, wurde unglaublich populär. Der knochentrockene Wirtschaftsminister Domingo Cavallo war beliebter als der charismatische Dandy-Präsident Carlos Menem. Doch die Hoffnung, der Typ des rationalen Wirtschaftspolitikers hätte sich damit ein für alle Mal gegen den des populistischen Caudillo durchgesetzt, ist in den letzten Monaten geschwunden. Schon Expräsident Fernando de la Rúa brach mit den neoliberalen Spielregeln, verteilte Einkaufsgutscheine und versperrte den Argentiniern den freien Zugriff auf ihre Ersparnisse. Der neueste Präsident, Eduardo Duhalde, spricht nun gar offen von einer „Abkehr von der Marktwirtschaft“.

Duhalde gehört den Peronisten an, der Partei des institutionalisierten Populismus schlechthin. Er weiß, wie er die Seele der leidgeprüften Argentinier streicheln kann und beschwört die bessere Vergangenheit unter Juan Domingo Perón und seiner freigebigen Frau Evita. Duhalde blickt zurück statt nach vorne – und hat ein Vorbild im Norden des Kontinentes. Denn schon einmal hat sich ein Populist gegen die neoliberalen Technokraten der 90er-Jahre aufgelehnt: Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Halb Samariter, halb Rambo gewann er 1999 seine Wahl, und die Finanzexperten des IWF behandelt er wie Verbrecher. Sein historisches Vorbild ist der große Lateinamerikaheld Símon Bolívar. Doch für die Argentinier wäre ein zweiter Blick nach Caracas ratsam: Trotz wunderbarer Versprechungen hat Chávez sein Land noch tiefer in die Misere geritten. Vier von fünf Venezolanern leben unter der Armutsgrenze – mehr als vor seiner Präsidentschaft. Der Schuldenberg wächst, die Wirtschaft schrumpft. Nichts wird besser, wenn Argentinien diesem Beispiel folgt.

Der Wechselkurs des Peso steht indes kurz vor der Freigabe. Weil der Wert des argentinischen Geldes abstürzt, steigen dann zwar die Dollarschulden, für die nun ein Mehrfaches an Pesos aufgebracht werden muss. Doch ist ein freier Wechselkurs derzeit der einzige Weg, Argentiniens Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen und auf dem Weltmarkt Devisen zu verdienen. Denn jede neue Form von Überbewertung – auch eine Koppelung an einen Korb verschiedener Währungen – würgt weiterhin die Exporte ab. Nach der Kursfreigabe hingegen wären die ausländischen Gläubiger nicht nur gezwungen, einen Zahlungsaufschub zu gewähren, sondern müssten auch einen Teil ihrer Ausstände abschreiben. Darauf sind sie bereits eingestellt. Nach einer solchen Bereinigung steigt der Pesokurs wieder – diese Erfahrungen haben in den letzten Jahren auch Russland und Thailand gemacht. Nur: Je mehr die Erholung des Landes durch populistische Wirtschaftspolitik verzögert wird, desto langsamer steigt der Kurs, desto schwerer wird die Rückzahlung der Schulden. Diese Erkenntnis, scheint’s, kommt auf die Argentinier erst noch zu. KATHARINA KOUFEN

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