piwik no script img

Weniger Straßenstrich, mehr Elend

Nach drei Jahren sieht die Bilanz des schwedischen „Sexkaufverbots“ düster aus: Die Prostitution ist verdeckter geworden, aber angestiegen. Wer mangels Alternative noch auf der Straße anschaffen geht, ist immer gewalttätigeren Freiern ausgesetzt

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Drei Jahre ist es her, dass Schweden per Gesetz den „Kauf sexueller Dienste“ unter Strafe stellte und damit einen weltweit nahezu einmaligen Versuch unternahm, die Prostitution zu beseitigen. Die Bilanz ist niederschmetternd: Die Prostitution ist nicht weniger geworden, sondern mehr – genau wie das Elend, die Gewalt und die Abhängigkeit auf den Straßenstrichen.

Nach drei Jahren regelmäßiger Polizeirazzien, verdeckter Überwachung des Straßenstrichs, teilweise heimlicher Videoaufnahmen durchs Autofenster, um Beweise dafür zu sammeln, dass da wirklich ein „Sexkauf“ im Gange war, konnte die Polizei gerade einmal 249 Strafanzeigen stellen. 26 Männer gestanden auf der Stelle und erhielten ein Bußgeld, in 33 Fällen gab es Gerichtsverfahren, die mit geringen Geldstrafen endeten. Die im Gesetz angedrohte Haftstrafe wurde noch nie ausgesprochen. Drei Viertel der Verfahren wurden eingestellt.

Die Zahl der Straßenprostituierten hat sich etwa halbiert, nur noch acht bis zehn Prozent aller Prostituierten suchen jetzt ihre Kunden auf der Straße, der Rest in Bordellen, übers Internet, in Kneipen, über verdeckte Bekanntschaftsanzeigen.

Auf der Straße sind die Frauen geblieben, die es wegen ihrer schweren Drogenabhängigkeit nicht schaffen, auf diese anderen Möglichkeiten der Kundensuche auszuweichen. Eine feste Wohnung und einen Internetanschluss haben die meisten nicht.

Neun von zehn Straßenprostituierten in Stockholm und Göteborg sind heroinabhängig. Für sie ist die Situation noch schwerer geworden. „Die Minderheit der Männer, die sich in die Gefahr begibt auf dem Straßenstrich aufzutauchen, sind vorwiegend krank und sexuell pervers“, schätzt Sozialarbeiterin Helena Cevers ein. Die auf dem Strich verbliebenen Frauen hätten mehr und mehr ihre früher selbstverständlichen Vorsichtsmaßnahmen aufgegeben, da sie zu keinem Kunden mehr Nein sagen könnten: „Früher sind sie nie in ein Auto mit zwei Männern eingestiegen. Jetzt tun sie alles. Die Gewalt ist massiv angestiegen, die körperlichen Spuren sadistischer Sexualpraktiken, denen sie ausgesetzt sind, sind teilweise entsetzlich.“

In Bordellen hat es dagegen so gut wie nie Polizeirazzien gegeben. Angeblich reichen dazu die Ressourcen nicht und die Adressen illegaler Bordelle wechselten ständig, ist die Polizeibegründung hierfür.

Im Internet geht der Handel völlig ungestört vor sich. Was nicht nur ganz neue Kundenkreise zur Prostitution gezogen hat, sondern nach Einschätzung vieler SozialarbeiterInnen auch eine ganz neue Prostituiertengeneration. Jonas Flink von der Prostitutionsgruppe der Stadt Göteborg: „Junge Mädchen, zum Teil sehr junge Mädchen bieten sich übers Internet an. Für uns sind die damit so gut wie nicht mehr für Hilfsangebote erreichbar.“

Sven-Axel Månsson, Professor für Sozialarbeit mit dem Spezialgebiet Prostitution schätzt, dass die gesamte Prostitution nach Inkrafttreten des Sexkaufverbots nicht gesunken, sondern eher gewachsen ist. Im Sinne der InitiatorInnen ist dies natürlich gar nicht. Inger Segelström, Vorsitzende des sozialdemokratischen Frauenverbands, wirft der Polizei vor, nicht „modern genug“ zu sein: „Die müssen auch gegen den Sexhandel im Internet aktiv werden. Das Gesetz gilt ja nicht nur der Straßenprostitution.“

Die Prostituierten selbst haben eine klare Meinung. Die 25-jährige „Lena“ vom Straßenstrich in Göteborg: „Das Sexkaufverbot ist Scheiße. Das hilft uns Frauen kein bisschen. Die meisten hier sind jetzt auf Loddel angewiesen. Die sitzen da im Auto und denen müssen die Mädchen gleich ihr Geld abliefern. Statt hier auf dem Strich, kannste jetzt Sex fast in jeder Kneipe kaufen. Legale Bordelle und Hilfe für die Mädchen, die an der Spritze hängen, wären das einzig richtige.“

Angela Beausang, Vorsitzende des Verbands der schwedischen Frauen- und Mädchenhilfsgruppen hält trotz allem daran fest: „Das Gesetz ist richtig. Die Umsetzung ist das Problem.“ Sie glaubt nach wie vor, dass Schweden auch international einen Meilenstein in die richtige Richtung gesetzt habe und Nachfolger auf diesem Weg finden werde: „Dass Deutschland die Bordelle legalisiert hat, ist nur zu beklagen. Ich glaube, die werden das noch schwer bereuen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen