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Der Beichtstuhl im Kinderzimmer

■ Oleg Janushewski und Andrea Lamest demontieren Heilige und demonstrieren Feierkultur

Es ist wieder Zeit, beichten zu gehen. Das Büßergewand hängt bereit. Es wird auf mehrere Rosenkränze hinauslaufen, im Knieen auf harter Kirchenbank, Aug' in Aug' mit den Heiligen auf der Emporer – Ikonen mit vergeistigten, leeren Blicken aus Öl und Blattgold. Schauen nirgendwohin und sehen alles.

Besonders gut beobachten derzeit die Heiligen in Russland ihre Schäfchen: Die russisch-orthodoxe Kirche hat Hochkunjunktur nach dem Ende der Kommunisten und nach der Eröffnung von McDonalds. Niemand weiß wo's lang geht und deswegen gehen alle beichten. Dazwischen gehen einige auf Kunstausstellungen. Und wenn sie dort Arbeiten des St. Petersburger Künstlers Oleg Janushewski sehen, gehen sie gleich wieder beichten.

Was dazu führt, dass Janushewski von den Kirchenfunktionären angehalten wird, nicht in Russland auszustellen. Und daran hält er sich auch: Janushewski zeigt seine Arbeiten in Finnland, den USA, auf der Dokumenta in Kassel und seit Freitag auch im Rahmen der Ausstellung „Transit“ in der Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg.

Janushewski schafft sich in Russland Feinde, weil er die klassische russische Ikonenmalerei entweiht: Er übernimmt die sakraler Ästhetik, malt allerdings verfremdete klassische oder zeitgemäße Motive. In die Holztafeln integriert Janushewski asiatisches Billigspielzeug, das die sakrale Ästhetik weiter verfremdet und zudem Knöpfe und Hebel anbietet. Und die sind ernst gemeint – Janushewskis Kunst ist interaktive Kunst. Zum Anfassen und zum Spielen.

Da dreht sich das Schäflein und dudelt das Paradies, es tanzen lesbische Evas und es blinkt der Pfau. Janushewski feiert die Provokation. Und der Beichtstuhl wird zum Kinderzimmer.

Aber der Russe holt nicht nur die Kirche vom Sockel, er demontiert auch andere Autoritäten: Lenin, Mao, einen VW und einen Rolls Royce zeigt Janushewski als neue Heilige seiner Ikonen. Seine „Stalin-Mao Icon“ macht deutlich: Autoritäten sind auch nur konstruiert, sie sind veränderbar und empfehlenswert ist, spielerisch mit ihnen umzugehen.

Die Lust auf Leichtigkeit teilt Janushewski mit der Bremer Künstlerin Andrea Lamest, die ein Stipendium der Bremer Künstlerförderung nach St. Petersburg führte. Lamest war dort gerne auf Vernissagen unterwegs und entdeckte dabei die russische Kultur des Feierns als ihr Thema. Bei der Bremerin geht es um die Momente der Entspannung, um den Augenblick am Tresen und die Begegnung im Hinterzimmer. Und vor allem geht es bei der Malerin und Druckgrafikerin um die Technik, mit der sie ihr Thema umsetzt: Andrea Lamest macht Fotogramme in einem sehr eigenen, experimentellen Verfahren aus Fotografie, Zeichnung, Malerei und Collage.

Andrea Lamests Partygäste amüsieren sich in positiv-negativ Umkehrung – wie es genau war in diesen Nächten, das bleibt der Vorstellungskraft des Betrachters überlassen. Die Künstlerin sorgt mit ihrer Mischtechnik allerdings für die Atmosphäre und die reicht von der Melancholie enttäuschter Feierlust bis zum berauschten Abtanzen.

Andrea Lamest und Oleg Janushewski – was die beiden Künstler in erster Linie verbindet ist ihr Humor, das Interesse daran, die Kunst nicht zu ernst zu nehmen und zu öffnen für das, was den Alltag ausmacht. Vor allem Janushewski lässt dabei auch noch eine Menge Leerstellen für Abstraktionen. Und die drängen sich gerade deshalb auf, weil Janushewski die Gebrauchsanweisungen zu seinen Ikonen so konkret wie möglich hält: „Drücken Sie den Knopf. Küssen Sie das Relikt.“ Klaus Irler

bis zum 20. Januar in der Städtischen Galerie im Buntentor, Di/Mi/Fr 10-16 Uhr, Do 10-20 Uhr, So 11-18 Uhr

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