: Das große Bücherwälzen
Vor zehn Jahren wurden die Staatsbibliotheken Ost und West offiziell vereint. Eine einheitliche Bibliothek wird es aber erst in sieben Jahre geben
von MARIJA LATKOVIC
Dunkel ist es, kalt und viel zu laut. „Außerdem mieft es überall“, sagt Anna Ludwigs. Nein, die Politikstudentin mag das Haus Unter den Linden nicht. „Zumindest nicht, wenn ich für Prüfungen lernen muss“, ergänzt die 23-Jährige. Im Februar stehen Prüfungen an. Deshalb sitzt Ludwigs jetzt im Bibliotheksgebäude an der Potsdamer Straße, dem so genannten Haus Zwei. Hier hat sie, was sie braucht: Licht und Ruhe.
Vielen Benutzern der Staatsbibliothek zu Berlin geht es ähnlich wie der Studentin. Seit am 5. Januar 1992 im Zuge der Wiedervereinigung die Deutsche Staatsbibliothek Unter den Linden und die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz vereint wurden, haben sie die Wahl: zwischen dem neobarocken Bau im ehemaligen Ostteil der Stadt und dem modernen Komplex in der Potsdamer Straße.
Daniela Lülfing, Leiterin der Zentralabteilung der Staatsbibliothek hält die Entscheidung für Geschmackssache. „Für das Haus Unter den Linden sprechen vor allem die üppige Ausstattung und die klassische Bibliotheksatmosphäre“, erklärt sie. Dazu gehörten seit der Einweihung 1914 eben auch die manchmal muffige Luft und der geringe Lichteinfall. In der Potsdamer Straße kann davon keine Rede sein. Durch eine große Fensterfront dringt ausreichend Licht. Nicht dicke Mauern, sondern Glas trennt einzelne Bereiche voneinander ab. Von Etagen kann man hier nicht wirklich sprechen. Denn die Übergänge zwischen verschiedenen Ebenen wurden nach den Plänen des Architekten Hans Scharoun fast fließend gestaltet. „Alles wirkt freier und offener“, beschreibt Ludwigs. Von der barocken Architektur Unter den Linden fühle sie sich dagegen eingeengt, fast erdrückt. Lernen sei dort unmöglich.
„Man muss den Barock schon mögen, um sich in Haus Eins wohl zu fühlen“, sagt auch Hartmut List, Baureferent im Bibliotheksgebäude Unter den Linden. Doch auch Anhänger des Barock wählen in letzter Zeit öfter den Bau in der Potsdamer Straße. Fast 4.000 Benutzer werden täglich registiert. Einer der Gründe für die hohe Besucherzahl – in Haus Eins sind es täglich nur rund 900 – ist die seit mehreren Jahren anhaltende Sanierung Unter den Linden. Fundament, Keller und die Dächer sind bereits fertig. Nun sollen die vier Buchtürme in einem der Innenhöfe abgerissen werden. An der Stelle, an der vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ein Kuppelbau stand, lässt das Stuttgarter Architekturbüro Merz im Auftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen neuen Lesesaal aus Glas errichten. Ein so großes Bauvorhaben kann nicht unbemerkt bleiben. Bereits am Eingang riecht es nach Malerfarbe. In den Höfen liegt überall Baumaterial. Der Lärm dringt auch in die Lesesäle. Wer wie Anna Ludwigs unbedingt Ruhe braucht, geht die nächsten sechs bis sieben Jahre lieber gleich in den Westen. Denn so lange sollen die Arbeiten andauern.
Obwohl sich Benutzer schon mehrfach beschwert haben, halten die Verantwortlichen an dem Bauvorhaben fest. Erst durch den Neubau können die über neun Millionen Bände der Staatsbibliothek endgültig verteilt werden. Danach werden Nutzer im Osten nur noch Bücher bis zum Jahr 1945 finden. Moderne Bestände werden in der Potsdamer Straße aufbewahrt. „Literatur aus Zeiten der DDR wird bereits in den Westhafen gebracht“, erklärt der Baureferent. Dort steht ein weiteres Bibliotheksgebäude.
„Mit Abschluss der Arbeiten und Unterbringung der Bücher wird aber auch die Zusammenlegung der beiden vor 1992 eigenständigen Bibliotheken endgültig abgeschlossen“, sagt Lülfing. In allen anderen Bereichen wurde schon vieles angeglichen. Wichtige Abteilungen sowie die Direktion wurden so schnell wie möglich koordiniert. Auch der Altbau Unter den Linden verfügt inzwischen über ausreichend Computerplätze mit Internetzugang und Zugriff auf internationale Datenbanken.
Obwohl sie schon jetzt den größten Bestand in ganz Deutschland besitzt, befindet sich die „Stabi“ eigentlich noch auf dem Weg zur größten wissenschaftlichen Universalbibliothek der Republik. In spätestens sieben Jahren soll sie dieses Ziel tatsächlich erreicht haben.
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