fundgrube: „Carchitecture“
Vom mobilen Raum zum Identifikationsobjekt
Einmal besaß ich ganze sieben Wochen ein Auto, einen roten Oldsmobile. Für seinen Zweck, den Weg von Los Angeles nach New York zurückzulegen, war es ein passables Gefährt. Ansonsten erinnerte es mit 20 Litern Benzin auf 100 Kilometer an die Zeiten, in denen Fahren heroisch und nicht luftverschmutzend codiert war. Ein Buch wie „Carchitecture“, das sich der vom Auto beeinflussten Umweltgestaltung widmet, ist somit überwiegend ein Blick zurück.
Wenn auch der Untertitel „When the Car and the City collide“ das diffizile Verhältnis von Stadtbild und Verkehr kritisch fasst, gibt die Bildauswahl vor allem den einnehmenden Reiz von Mobilität und Verkehrsbauten wieder. Es sind ungebremste Blicke durch eine Windschutzscheibe oder auf von Straßen durchzogene Landschaften.
Die Autoren beleuchten das Auto in Erscheinung und Folgen: Als eigener, mobiler Raum, als Voraussetzung für die sich ausbreitenden Vororte, als Aufgabe für die Straßenplanung, als Vehikel für modernistische Botschaften von Architekten. Schließlich ist der Wagen ein Identifikationsobjekt. Es ist mehr als ein Witz unter Architekten, den größten Einfluss auf den Bauherrn zu erzielen, wenn dieser auf den Plänen sein Auto wiederfindet.
Bisweilen verselbstständigt sich das Auto in der Architektur. Das berühmte Fiat-Werk Lingotto in Turin – heute ein Kongresszentrum – war noch als Raum gewordener Produktionsablauf konzipiert, der in der Teststrecke auf dem Dach gipfelte. Heute wird das Autofahren kultisch überhöht, wie etwa in der VW-Autostadt in Wolfsburg; mit einem stilistisch disparaten Architekturzoo bemühen sich die Marketingstrategen nach dem Motto „Für jeden etwas“, den Käufern die Bewegung von A nach B als Erlebnis zu suggerieren. Die Glanzzeiten des fahrenden Individualisten lagen jedoch in den 1960er-Jahren, als Architekten und Philosophen über Autos wie den Citroën DS schrieben, der auch in diesem Buch nicht unerwähnt bleibt.
Aufschlussreich ist das Glossar mit Begriffen von Roundabout bis Shopping Mall, die ohne das Auto nicht entstanden wären. Interessanter als die Information, welche Autos die Autoren besitzen, wäre aber ein Ausblick auf die Gestaltung des veränderten Individualverkehrs in der Gegenwart gewesen, etwa die Frage, warum ich mich nunmehr auf meinem schwarzen Tourenrad wohler als am Steuer eines Pkws fühle. MIKAS
Bell, Jonathan: „Carchitecture. When Car and the City collide“. August/Birkhäuser, London/Basel 2001, 34,50 € Impressum
Das nächsten wohnkonzepte erscheinen am 2. Februar 2002
Redaktion: Ole Schulz
Fotoredaktion:
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