: Bergisl fest in Piefkes Hand
Sven Hannawald gewinnt auch auf Österreichs heiligem Berg und steht nun vor dem Gesamtsieg der Vierschanzentournee. Derweil bleiben Österreichs Adler auch im 41. Weltcupspringen ohne Sieg
Aus Innsbruck KATHRIN ZEILMANN
Es ist fast ein nationales Heiligtum, das dort oben am Stadtrand von Innsbruck steht. Die Österreicher, speziell die Tiroler, haben ein ganz besonderes Verhältnis dazu. Sie pilgern dorthin, jedes Jahr, Anfang Januar. Es ist eine ganz spezielle Schanze, auch für die Springer, die, wenn sie vom Schanzentisch abheben, den Stadtfriedhof im Blick haben. Und wenn sie dann wieder hinaufsteigen mussten zum zweiten Sprung, führte sie der Weg viele Stufen lang direkt und hautnah an den Zuschauern vorbei. Doch das war einmal. Zumindest mit dem Spießrutenlaufen war es in diesem Jahr vorbei, für die Helden der Lüfte gibt es jetzt einen Lift. Letzten März wurde der alte Bakken gesprengt und ein futuristisches Schanzen-Kunstwerk mit modernem Profil entworfen, das bis zum gestrigen dritten Springen der Vierschanzen-Tournee annähernd fertiggestellt war. Lediglich ein paar Kleinigkeiten fehlen noch.
Vor zwei Jahren, als ein gewisser Andreas Widhölzl aus dem österreichischen Bergdorf Fieberbrunn das Springen von Innsbruck gewann, war die Euphorie fast grenzenlos. Ein rot-weiß-rotes Fahnenmeer umwehte den sonst so stillen Sieger, der darüber alle Zurückhaltung vergaß. Eine Premiere sei es gewesen, jubelte ganz Austria damals. Aber wieso eigentlich? Die Herren Bradl, Egger, Schnabl, Neuper und Goldberger, die hier ebenfalls schon gewonnen hatten, waren doch auch Österreicher, dachte man sich da als „Piefke“ – und wurde von den Einheimischen gerne und mit etwas Hochmut belehrt: „Weil der Widhölzl nach Andreas Hofer der erste Tiroler ist, der am Bergisel gesiegt hat.“ Aha, der brave „Swida“ hat also die Nachfolge des legendären Andreas Hofer angetreten, der seine Tiroler Heimat anno 1809 so tapfer gegen die Bayern verteidigt hatte.
Auch gestern ging es für die österreichischen Skispringer darum, „ihren“ Bergisel gegen einen Piefke zu verteidigen – erfolglos. Sven Hannawald hatte schon die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee gewonnen und dabei mit Widhölzl und Martin Höllwarth jeweils zwei Springer der Alpenrepublik auf Platz zwei verwiesen.
Und auch gestern sprang der Schwarzwälder allen auf und davon – und dem Gesamtsieg der Vierschanzen-Tournee entgegen: 134,5 m legte Hannawald schon im ersten Durchgang vor, womit er acht Meter vor der versammelten Konkurrenz lag und beruhigt in Durchgang zwei starten konnte. In dem ließ er 128 m folgen, was sich aufaddierte zu insgesamt 270 Punkten und Platz eins, deutlich vor dem Polen Adam Malysz, der es auf 247 Punkte (124 und 123,5 m) brachte und sich damit noch vor den besten Österreicher, Martin Höllwarth (244,1 Punkte mit 126,5 und 120,5 m), schob. Martin Schmitt aus Furtwangen kam mit 238,3 Punkten (126,5 und 120,5 m) auf Rang fünf. Österreichs Andi Widhölzl musste sich nach 124 m und Rang drei im ersten Durchgang beim zweiten Sprung mit 119 m und schließlich Platz sechs zufrieden geben.
Das deutsch-österreichische Duell während der Tournee lebt also, und dass die Tour de Schanz mit dem gestrigen Springen in Österreich angekommen ist, macht die Rivalität nicht kleiner. „Der Druck ist gewaltig“, hatte Anton Innauer, der österreichische Trainer, schon vor dem gestrigen Springen bemerkt, vor dem seine Adler in 40 Weltcup-Wettbewerben ohne Sieg geblieben waren Die Anzahl der Podestplätze war bisher ja gut und schön – und Ausdruck einer guten Mannschaftsleistung. Aber Innauer weiß, dass er diese positiven Ergebnisse noch so oft herausstreichen und noch so oft auf das Material schimpfen kann („Beim Saisonauftakt gab’s Probleme mit den Anzügen“), einen längst fälligen Weltcupsieg ersetzt das nicht.
„Wir warten ab. Vielleicht macht der Hannawald ja einen Fehler“, haben die Österreicher deshalb schon bei ihrer Ankunft in Innsbruck verlauten lassen. Das klang sehr verhalten – und um die Situation aufzulockern, hat Innauer, der Trainer mit dem feinen Humor, noch angefügt: „Wir haben die Krawatten ja schon immer dabei, damit das Outfit stimmt, wenn mal einer gewinnt. Vielleicht sollten wir sie einmal zu Hause lassen.“ Zumindest gestern hätten sie das getrost tun können.
Niemand weiß, ob sich auch im Gepäck seiner Springer momentan Krawatten befinden. Und niemand weiß, wie es um die Psyche von Martin Höllwarth (27) bestellt ist, der zumindest nach außen hin vorgibt, dass er wieder ganz cool ist und den Unfall verarbeitet hat. Jenen Unfall nach dem Weltcup in Willingen im Februar letzten Jahres nämlich, bei dem Höllwarth am Steuer des Autos saß, zu schnell fuhr, gegen einen Baum prallte, und sein Beifahrer, Cheftrainer Alois Lipburger, noch an der Unfallstelle verstarb. Danach haben seine Schützlinge in Lahti bei der WM noch Gold auf der Normalschanze geholt, seither aber springen sie, so wie gestern in Innsbruck, einem Sieg hinterher.
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