Tote in Nordirland

Der Nordirland-Konflikt fordert sein erstes Opfer im neuen Jahr. Belfast ist konfessionell stärker geteilt denn je

DUBLIN taz ■ Der 20-jährige William Campbell ist das erste Opfer des nordirischen Konflikts im neuen Jahr. Er starb in der Nacht zu gestern in der Universitätsstadt Coleraine, als seine selbstgebastelte Rohrbombe frühzeitig explodierte. Lokalpolitiker glauben, dass Campbell zur Ulster Defence Association (UDA) gehörte, die in der Gegend in den vergangenen zwei Jahren eine unermüdliche Kampagne gegen Katholiken geführt und mehr als hundert Häuser mit Rohrbomben attackiert haben.

Ebenfalls Donnerstagnacht entkamen in der nordirischen Hauptstadt Belfast eine Katholikin und ihre vier Kinder nur deshalb unverletzt, weil sie sich im Obergeschoss befanden, als im Wohnzimmer eine Bombe explodierte. Nachbarn behaupten, die Täter haben „Hoch die UDA“ gerufen, als sie in einem gestohlenen Auto flüchteten.

Die UDA ist auch für die meisten politischen Morde des vergangenen Jahres verantwortlich. 2001 starben insgesamt 19 Menschen aufgrund politischer Gewalttaten. Zehn Morde gehen wahrscheinlich auf das Konto der UDA, so dass Nordirland-Minister John Reid der Organisation die offizielle Anerkennung ihres Waffenstillstands entzog – und sie damit von jeglichen politischen Verhandlungen ausschloss. Der politische Flügel der UDA hat sich seitdem aufgelöst.

Die Irisch-Republikanische Armee (IRA), deren Abrüstungsgeste im Herbst als Durchbruch im Friedensprozess gefeiert wurde, brachte voriges Jahr im Zuge ihrer Anti-Drogen-Kampagne zwei Drogenhändler um. Für die übrigen Morde sind Splittergruppen beider Seiten verantwortlich.

„Niemand hält sich für den Verursacher von Gewalt, sondern lediglich für Opfer der anderen Seite“, sagt Peter Shirlow, Professor für Geografie an der Universität Coleraine. Belfast ist heute konfessionell geteilter als vor zehn Jahren. Vor allem junge Leute haben kaum Kontakt zur anderen Seite. Shirlow hat 4.800 Haushalte an den Brennpunkten des Konflikts befragt. Er fand heraus, dass 68 Prozent der 18- bis 25-Jährigen noch nie ein Wort mit jemandem von der anderen Konfession gesprochen haben. Zwei Drittel der Bevölkerung leben in segregierten Vierteln, das sind drei Prozent mehr als vor zehn Jahren. Auch am Arbeitsplatz ist man unter sich. Nur fünf Prozent Katholiken arbeiten in protestantischen Vierteln, umgekehrt sind es acht Prozent.

Wie weit Nordirland vom Frieden entfernt ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Zahl der so genannten Strafaktionen höher ist denn je. 331 Menschen wurden im vorigen Jahr durch Schüsse ins Knie verletzt oder mit Baseballschlägern zusammengeschlagen – ein Viertel mehr als im Vorjahr. RALF SOTSCHECK