piwik no script img

Frei nach 17 Jahren Todeszelle

Ein in den USA wegen Raubmordes zum Tode Verurteilter kann die Todeszelle in Florida als freier Mann verlassen. Die Polizei hielt Entlastungsbeweise zurück

BERLIN taz ■ Ein Drittel seines Lebens hat Juan Roberto Melendez in der Todeszelle verbracht, gegen seine Verurteilung zum Tode gekämpft und seine Hinrichtung gefürchtet. Nach 17 Jahren wurde der heute 50-Jährige am Donnerstag freigelassen. Damit geht ein veritabler Justizskandal zu Ende, der schon mit der polizeilichen Spurensicherung am Tatort des Mordes begonnen hatte, für den Melendez 1984 zum Tode verurteilt worden war.

Der in New York geborene, in Puerto Rico aufgewachsene Melendez war damals schuldig gesprochen worden, 1983 in Auburndale (Florida) den Besitzer eines Schönheitssalons, Delbert Baker, ausgeraubt und ermordet zu haben. Baker war mit einem Messer am Hals verletzt und dann aus nächster Nähe erschossen worden. Die Polizei sicherte weder Blutspuren, die am Telefon zu finden waren, noch herumliegende Messer. Ein Projektil wurde erst Wochen später von einer Putzfrau entdeckt. Blut, das vom Täter zu stammen schien, wurde nicht gekühlt aufbewahrt und war so später nicht mehr verwertbar.

Melendez wurde schließlich ohne weitere Indizien aufgrund zweier Zeugenaussagen verurteilt – er selbst beteuerte stets seine Unschuld. Entlastende Beweise wurden vom Gericht nicht zugelassen, Entlastungszeugen für unglaubwürdig erklärt.

Weitere entlastende Beweise tauchten nach der Verurteilung auf – doch lehnte das Gericht mehrfach die Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Dabei hatte der vermutlich eigentliche Täter, ein Mann namens Vernon James, gegenüber mindestens fünf von der Verteidigung benannten Zeugen seine Beteiligung an dem Mord eingeräumt und Beutestücke gezeigt. James war bereits kurz nach der Tat ins Visier der Fahnder geraten. Er als auch sein Komplize waren jedoch wieder freigelassen worden, ohne dass die sie belastenden Indizien je geprüft wurden. Stattdessen wurden Beweise von der Polizei vernichtet.

So hielt der Ermittler Hardy Pickard Verhörnotizen von Schlüsselzeugen genauso geheim wie polizeiliche Führungsberichte über die Belastungszeugen. Melendez’ Anwalt, Martin McClain, zeigte sich „schockiert“ über das Verhalten der Ermittler. „Unser System basiert nicht darauf, dass die Strafermittler unbedingt einen Fall gewinnen wollen, sondern dass sie für Gerechtigkeit sorgen. Wie das hier gemacht wurde, entspricht nicht dieser Absicht.“ Bereits im November vergangenen Jahres hatte ein Bundesrichter in Fort Lauderdale dem gleichen Ermittler bescheinigt, die Jury bewusst in die Irre geführt zu haben, um ein Todesurteil in einem anderen Mordfall zu erreichen.

Erst Anfang Dezember vergangenen Jahres erreichte Melendez’ Verteidigung endlich, dass die Verurteilung aufgehoben wurde und der Prozess neu aufgerollt werden sollte. Weil aber sowohl der vermutliche tatsächliche Täter als auch der Hauptbelastungszeuge gegen Melendez inzwischen verstorben sind, stellte die Staatsanwaltschaft nunmehr das Verfahren ein – Melendez ist frei.

Nach Angaben des „Justice Project“, einer Vereinigung gegen die Todesstrafe und für eine Reform des US-Justizwesens, ist Juan Roberto Melendez der 99. Todeskandidat, der seit 1973 nach teilweise mehrjähriger Haft wieder freigelassen wurde. Allein im vergangenen Jahr wurden fünf Todeskandidaten aus der Haft entlassen, nachdem DNA-Analysen ihre Unschuld bewiesen hatten. BERND PICKERT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen