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Katastrophe für Britannien

Unter ihrem Vorsitzenden Duncan Smith rücken die Tories immer weiter nach rechts. Tony Blairs Labour Party reklamiert den Boden für sich, den sie dabei preisgeben

Blair ist dabei, Großbritannien zu zerstören, doch im Vergleich zu Smith erscheint er moderat

Was machen eigentlich die britischen Tories? 2001 war für sie ein noch schlechteres Jahr als die vier vorangegangenen. Sie verloren als Oppositionspartei nicht nur haushoch die Wahlen, sondern darüber hinaus auch ihren peinlichen Parteichef William Hague. Dann kam der 11. September, und seitdem beschränken sich die Tories darauf, die Kriegspolitik der Labour-Regierung abzunicken. Kurz zuvor hatten sie sich den Rechtsaußen Iain Duncan Smith zum neuen Parteichef gewählt. Das könnte man in Anbetracht des maroden Zustands der Partei als irrelevant abtun. Aber das ist es nicht. Es ist eine Katastrophe für die Konservativen, für Labour, für Britannien.

Mit Duncan Smith an der Spitze haben sich die Konservativen auf einen Schlag weit nach rechts katapultiert. Smith steht für eine Politik, die sich am US-Präsidenten George W. Bush orientiert und sie in manchen Punkten rechts überholt. Bildung gegen Bezahlung, private Krankenversorgung, Raketenschutzschild – darin sind sich Smith und Bush einig. Europa ist für den Tory-Chef dagegen nichts weiter als ein ferner Kontinent, und so soll es bleiben.

Smith ist gegen Abtreibung, für die Todesstrafe, gegen Homosexuelle in der Armee, für die „Rückführung“ von Asylbewerbern. Er hat nichts gegen die Rechtsextremen in seiner Partei unternommen, einer seiner Wahlhelfer war nicht nur Mitglied bei den Konservativen, sondern auch bei den Neonazis von der British National Party. Kein Wunder, dass Duncan Smith der Wunschkandidat von Tony Blair war – denn mit diesem Konservativen dürfte der Premier in vier Jahren ebenso leichtes Spiel haben wie mit Hague.

Das ist ein Desaster für Labour. Blair eilt Smith hinterher und reklamiert den Boden für sich, den die Tories auf ihrem Weg nach rechts preisgeben. Unter ihrem neuen Vorsitzenden sind die Konservativen kein ernst zu nehmender Gegner mehr. In Anbetracht der großen Labour-Mehrheit und der nahezu sicheren Wiederwahl 2005 können gemäßigte Labour-Politiker – den linken Flügel haben Blair und seine Vorgänger längst aus der Partei geworfen – die Exzesse der Privatisierungspolitik nicht mehr aufhalten.

Blair ist dabei, Großbritannien zu zerstören. Selbst Margaret Thatcher hat vor der Privatisierung der Eisenbahn und der Post Halt gemacht, weil sie es für unpopulär hielt, doch für Blair ist das kein Hinderungsgrund. Er verscherbelt alles, was die Tories noch übrig gelassen haben. Den Weg hat er sich selbst geebnet: Kurz nach seinem Antritt als Parteichef ließ er die „Clause 4“, die das öffentliche Eigentum an den Produktionsmitteln forderte, aus dem Parteiprogramm entfernen.

Selbst nach dem Fiasko mit der Eisenbahn, die heute so schnell ist wie in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, will Blair die Londoner U-Bahn und die zivile Luftfahrtkontrolle an Privatunternehmen verkaufen. Als Erstes ist jedoch der Bildungssektor dran. Die Verwaltung und der Betrieb von Schulen in England und Wales sollen an Privatunternehmen ausgelagert werden. Das widerspricht der Grundidee vom staatlichen Bildungswesen. Wo jemand so viel Profit wie möglich machen will, muss eingespart werden, der Service bleibt auf der Strecke. Bei der Eisenbahn hat das zu vielen Toten geführt, im Bildungswesen wird es sich weniger dramatisch, aber langfristig genauso katastrophal auswirken.

Duncan Smith ist Tony Blairs Alibi. Der Tory-Chef hat vorgeschlagen, begabte Schüler an Privatschulen durch „Bildungsgutscheine“ zu fördern – ein System, das von einem fairen Bildungssystem so weit entfernt ist, dass selbst Thatcher es ablehnte. Im Vergleich zu diesen Plänen erscheint Tony Blair moderat. Dasselbe gilt für den Gesundheitsbereich, für Sozialleistungen und für Renten. Zurzeit werden britische Patienten nach Deutschland und Frankreich verschifft, weil das britische Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch steht. Smith will im Namen der Effizienz die Etats der drei Bereiche kürzen. Labour arbeitet unter Blair auf das US-amerikanische Modell der privaten Vorsorge hin.

Mit Duncan Smith an der Tory-Spitze bleibt Europa der Zankapfel in Britannien. Der Verlockung, das Thema in der Schwebe und die Tories dadurch im permanenten Flügelkampf zu halten, kann Blair kaum widerstehen. Hätte Smiths Gegenkandidat, der europafreundliche Kenneth Clarke, gewonnen, hätte Blair noch in dieser Legislaturperiode ein Referendum über den Euro veranstaltet. Die Chance, Zwist zwischen dem Tory-Chef und seiner Partei zu säen, hätte der Premier sich nicht entgehen lassen. Wenn Blair sich dennoch sicher genug fühlt, noch in diesem Jahr ein Referendum über den Euro zu veranstalten, so hat er das Ussama Bin Laden zu verdanken: Der Krieg in Afghanistan hat bei vielen Briten ein „Wir-Gefühl“ und den Wunsch entstehen lassen, in Europa eine führende Rolle zu spielen.

Bei den Tories glaubt nur noch eine Minderheit, dass die Partei in die politische Mitte zurückfinden muss, um eine Wahlchance zu haben. Sie warnt, dass die Tories unwählbar werden, wenn sie sich die rechte Politik von Duncan Smith auf die Fahnen schreiben. Es hat bereits dazu geführt, dass eine ganze Reihe gemäßigter Mitglieder der Partei den Rücken kehrten.

Bei den Tories glaubt nur noch eine Minderheit, dass die Partei in die politische Mitte zurückfinden muss

Die Gewerkschaften sind sich des Problems bewusst. Nachdem sie 18 Jahre lang von den Tories bekämpft worden sind, erscheint es ihnen nicht sehr einladend, einen Tory-Führer wie Smith zu haben. Aber sie misstrauen auch Blair und seiner Privatisierungspolitik. Die Auseinandersetzung darüber ist auf dem Gewerkschaftskongress im Oktober wegen der Anschläge in den USA verschoben, aber nicht aufgehoben worden. Blair sagte, in seiner zweiten Amtszeit wolle Labour das „Centre“ besetzen. Diese Mitte ist durch die Wahl von Duncan Smith zum Tory-Chef neu definiert worden. Sie liegt noch weiter rechts als zu Zeiten des zurückgetretenen Parteichefs William Hague.

Die liberalen Demokraten sind keine Alternative. Sie hängen ihr Fähnchen nach dem Wind. In Wahlkreisen, die von den Tories beherrscht werden, sind sie pluralistisch, offen, auf lokale Themen fixiert. In Labour-Wahlkreisen sind sie radikaler. In Schottland und Wales machen sie gemeinsame Sache mit Labour, um die Separatisten zu schwächen. Diese Bäumchen-wechsel-dich- Politik kann man den Liberalen nicht einmal zum Vorwurf machen – das ungerechte britische Wahlsystem fordert das geradezu heraus. Es gibt – außer in den Regionalparlamenten in Edinburgh und Cardiff – keine proportionale Repräsentation, lediglich der Kandidat mit den meisten Stimmen zieht ins Unterhaus ein.

Nur eine Reform des Wahlsystems würde den Liberalen weiter helfen. Blair hat sie vor seiner Wahl zum Premierminister im Mai 1997 versprochen. Er wäre töricht, dieses Versprechen einzuhalten – und er muss es angesichts der Machtverhältnisse auch nicht. So wird es auf absehbare Zeit beim Zweiparteiensystem bleiben. Mit einer Änderung: Sowohl die Tories als auch Labour rücken noch weiter nach rechts. RALF SOTSCHECK

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