: Unser täglich Nichts gib uns heute
Musiktheater voller Wortgeschwurbel: Die Bayreuther Gruftband Goethes Erben stellte im Casino ihr aktuelles Album „Nichts bleibt, wie es war“ vor
Alles bleibt, wie es war – man kommt nicht umhin herumzukalauern, wenn man sich im Casino beim Konzert von Goethes Erben im Publikum umschaut. Schwarze Klamotten dominieren wie gehabt, wie Anfang der Achtziger, als sich die Dark-Wave-Szene zu konstituieren begann. Alles aber bleibt schön im Rahmen, so genannte Hardcore-Grufties, deren gesamtes Outfit von den Haaren bis zu den Schuhen ein großes, schwarzes, verwegenes Gesamtkunstwerk ist, sind keine da – wer an diesem Sonntagabend hier rumsteht, muss morgen wieder an seinen Arbeitsplatz, wahrscheinlich in einer Anwaltskanzlei, einer Bank oder einem Supermarkt.
Solcherart vornehme Zurückhaltung liegt auch an der Band, an den aus Bayreuth stammenden Goethes Erben. Diese gründeten sich Ende der Achtziger, um „deutsche gesprochene Worte in den Mittelpunkt eines Musiktheaters zu stellen“, wie es auf ihrer Homepage heißt. Nach ihrem Konzert besteht kein Zweifel: Diese Band ist konsequent ihren langen, dunklen Weg durch die Neunziger gegangen. Die ist sich treuer als treu geblieben, da liegen keine Welten zwischen „Das Sterben ist ästhetisch bunt“, dem ersten Album, und dem letzten Werk „Nichts bleibt wie es war“. Der Wortanteil ist groß, nicht nur in den Songs, die Interludes ausufernd, und diverse für ein Konzert nicht unbedingt nötige Requisiten kommen ebenfalls zum Einsatz.
Anstelle einer Vorband kann man sich ein Filmchen anschauen, das Goethes Erben auf einer Reise durch Island gedreht haben. Die Mitglieder der Band vor grünen Hügeln und Wiesen, an Flüssen und Bächen, in ihrem Auto, in dem die Kamera auf einen Topf Margarine oder ein angebissenes Schwarzbrot hält, dazu Musik von Goethes Erben – das ist hohe Filmkunst, damit erschließt sich die Welt von Goethes Erben gleich besser, das ist gesittet lustig, und dafür gibt es warmen Applaus aus dem Publikum.
Nach einem Goethes-Erben-Video geht’s bruchlos weiter. Die siebenköpfige Band besteigt die Bühne, ergreift ihre Instrumente, und das Erbenhaupt Oswald Henke ergreift das Wort. Er bittet die ersten Reihen, sich doch zu setzen (Theater!), die Bühne sei dieses Mal so niedrig, und dabei schön auf die Mäntel aufzupassen, und erzählt dann einleitend irgendetwas von Vergangenheit, Erinnerung und Zukunft.
Mit dem Stück „Der Eissturm“ geht’s los, und im Folgenden halten sich Goethes Erben Stück für Stück an die Songreihenfolge von „Nichts bleibt, wie es war“. Ein Konzeptalbum ist ein Konzeptalbum und ein Goethes-Erben-Album nicht einfach nur ein Album mit Musik, sondern, genau: Musiktheater. Was Henke und seine Leute aber genau performen, wohin die Reise geht und welchen Trost und welche Sendung ein jeder mit nach Hause nehmen könnte – das erschließt sich weder nach Hören des Albums noch nach diesem Konzert. Unangenehm atemlos wirkt Henke, als er einen seiner Wegbegleiter, eine kleine Stoffpuppe, vorstellt und von den kleinen Dingen erzählt, die Erinnerungen am besten aktivieren können. Er singt von einem „vermissten Traum“ und will in einem kalten Bach tanzen, und: „Paradoxe Stille – die Zeit erstickt im Farbenrausch“. Die Musik dazu ist getragen, verziert mit Geigenspiel und langen Keyboardlinien. Später wird sie, als das Theaterspiel überwiegt, härter, zupackender, metal-lastiger. Henke lässt zwei Puppen sich unterhalten (Gott und Teufel!), rezitiert Zeugs, sagt: „Die Dummheit gedeiht auch im Vakuum“, macht seinen Oberkörper frei und reitet mit einem Besen auf der Bühne herum.
Es ist ein großes Wortgeklingel und Wortgeschwurbel bei Goethes Erben, mit Songs, die immerhin mehr hermachen als der klassische Darkwave, die verkünstelter sind, komplexer. Ein großer Bedeutungszauber, der am Ende nur sich selbst genügt: Kunst für die Kunst. Oder aber: nichts für nichts. Oder, um gerechterweise Goethes Erben, das vorletzte Wort zu lassen: „Was war bleibt, was ist scheint, nie erreicht“. In Ian Curtis Namen. O weh! FRANCIS BERGMANN
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