: Mit Hetztiraden gegen Roma, Juden und Flüchtlinge
In Ungarn werden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zusehends hoffähig. Die konservative Regierung duldet das, denn Wahlen stehen bevor
BERLIN taz ■ „Die Stadt ist international, ihre Führer und Besitzer sind die Juden, die in bewachten Wohnparks logieren. Wir, die weit draußen hausen und deren Lebensfreude höchstens darin besteht, einen halben Tag in einem Einkaufszentrum herumzulungern, wir sind geduldet. Ein nettes kleines Land ist das! Wie war früher noch sein Name?“
Die Stadt, um die es geht, ist Budapest, der Name des Landes lautet Ungarn, und der Verfasser dieser letzten September veröffentlichten Zeilen heißt István Csurka. Der 66-jährige ist Ungarns bekanntester Rechtsextremist und Antisemit. Ein solcher zu sein, streitet der frühere Dramenschreiber ab. Er könne nichts dafür, daß die Feinde Ungarns vor allem Juden seien. Folgerichtig wimmelt es in Csurkas Texten nur so von antiungarischen Szenarien und jüdischen Weltverschwörungen.
Kaum jemand in Ungarn würde den Mann ernst nehmen, wäre er nicht der Chef der „Partei der ungarischen Wahrheit und des ungarischen Lebens“ (MIÉP). Sie zog nach den Wahlen 1998 mit 5 Prozent ins Parlament ein und ist eine politische Kraft geworden, die niemand mehr ignorieren kann. Im April finden in Ungarn wieder Wahlen statt. Derzeit kommt die MIÉP in Umfragen auf bis zu 12 Prozent.
Die MIÉP tritt für einen dritten, „ungarischen“ Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus ein. Wie dieser Weg aussehen soll, lässt die Partei offen. Klar ist nur, welchen Weg sie nicht gehen will: Die MIÉP ist gegen Ungarns EU-Integration, Globalisierung, die Aufnahme von Flüchtlingen, gegen Nicht-Ungarn überhaupt, gegen die „jüdische Herrschaft“ in der ungarischen Wirtschaft und in den ungarischen Medien.
Ihren Erfolg hat die Csurka-Partei weniger solchen Parolen als vielmehr dem regierenden national-konservativen „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz) zu verdanken. Weil Ministerpräsident Viktor Orbán sich auf einen der beiden Koalitionspartner, die Kleinlandwirte-Partei, meistens nicht verlassen konnte, geriet die MIÉP zum stillen Mehrheitsbeschaffer für den Fidesz.
Die MIÉP nahm die Rolle dankbar an. Unter Protest der sozialistisch-liberalen Opposition besetzten Fidesz und MIÉP gemeinsam Schlüsselposten in den öffentlich-rechtlichen Medien. István Csurka selbst machte dem ungarischen Regierungschef Dutzende Koalitionsangebote. Orbán und andere Fidesz-Spitzenpolitiker haben die Angebote nicht angenommen, sich aber auch nicht abgegrenzt.
Und das nicht nur aus Machtkalkül. Zu Anfang der Neunzigerjahre eine radikalliberale, progressiv-alternative Jugendpartei, steht der Fidesz heute im politischen Spektrum weit rechts. Unter Orbán baute Ungarn die politisch-ökonomische Achse München–Wien–Budapest aus. Als einziges EU-Kandidatenland lud Ungarn demonstrativ Politiker der ÖVP-FPÖ-Regierung ein.
Zu einer klaren Abgrenzung von den Rechtsextremisten konnte sich die Regierung auch nicht entschließen, als gegen MIÉP-Politiker und -Sympathisanten Verfahren wegen Volksverhetzung eröffnet wurden. Das der MIÉP nahe stehende Pannon Radio wurde vom ungarischen Landesmedienrat wegen zahlreicher Hetzsendungen gegen Juden und Roma Ende letzten Jahres mit einer Geldstrafe belegt. Gegen den MIÉP-Politiker und kalvinistischen Geistlichen Loránt Hegedüs leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein. Er hatte letzten Herbst in einem Artikel geschrieben, das christliche Ungarn habe Tataren, Türken und Habsburger überstanden, nicht aber die „Horden galizischer Vagabunden“, die im letzten Jahrhundert nach Ungarn gekommen seien.
Viele Oppositionspolitiker und Intellektuelle sind sich einig: Der Antisemitismus in Ungarn hat zugenommen, die Gesellschaft wird intoleranter, vor allem gegenüber Juden, Roma und Flüchtlingen. Umfragen belegen das. Einen Grund dafür sieht der bekannte liberale Menschenrechtspolitiker Gábor Fodor im Schweigen der regierenden Jungdemokraten zu Intoleranz und Rechtsextremismus.
Auch bekannte evangelische und katholische Intellektuelle äußerten sich Ende letzten Jahres in einem Brief an Bischöfe besorgt über steigenden Antisemitismus und forderten mehr Toleranz und Aufklärung. Eine Antwort steht noch aus.
Lakonisch reagiert auch László Kövér, Vizechef der Jungdemokraten, wenn er nach Antisemitismus in Ungarn und einer Koalition mit der MIÉP gefragt wird: „Die Mitglieder der MIÉP sind anständige ungarische Menschen“, sagt Kövér. „Eine Koalition mit der Partei ist vom Standpunkt der EU-Integration aus jedoch ungünstig.“ KENO VERSECK
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