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barbara dribbusch über GerüchteMehr Nähmaschinen

Die Deutschen freuen sich über nichts mehr. Da kann der Bundeskanzler versprechen, was er will

Es gibt Tage, an denen möchte ich nicht mal mit mir selbst reden. Dann denke ich immer an jene Glücksstudie, die mir früher so zu denken gab. Die Versuchspersonen mussten einige Aufgaben lösen. Am Ende wurde ihnen gesagt: „Gratuliere, alle haben gut abgeschnitten! Die anderen waren allerdings noch ein kleines bisschen besser als Sie.“ Viele der Probanden fühlten sich daraufhin ziemlich lausig.

Besser ging es den Testpersonen allerdings, wenn man ihnen erzählte, alle hätten miserable Ergebnisse erzielt, aber die Leistung der anderen sei noch etwas schlechter gewesen als die eigene. Das versetzte die Probanden in fröhliche Stimmung. So sind die Menschen: kleinmütig und missgünstig. Jedenfalls manchmal.

„Es kommt eben immer auf die Versuchsanordnung an“, sagt Freddi, von Beruf Haus-und-Hof-Psychiater, als ich ihm die Geschichte erzähle. Wir sitzen mit Freunden in einem französischen Restaurant, die Schokoladenmousse steht noch aus, um unseren Serotoninspiegel zu heben. Da bringt Bernhard die Silvesteransprache des Kanzlers in die Diskussion. Es müsse ja aufwärts gehen, sagt Bernhard, weil es im vergangenen Jahr abwärts ging, mit der Wirtschaft und überhaupt. „So schlimm war es auch wieder nicht“, meint Freddi, „die Menschen nehmen Verluste nur immer stärker wahr als Gewinne. Das ist wissenschaftlich erwiesen.“

„Ich sag’s ja, die Deutschen sind Miesepeter“, verkündet Britt. Schließlich liegen wir bei internationalen Umfragen zum persönlichen Wohlbefinden noch hinter Bangladesch. „Die Deutschen freuen sich über nichts mehr“, bekräftigt Thomas und löffelt in seiner Mousse. „Das ganze Materielle kannst du in Deutschland voll vergessen. In Bangladesch dagegen kann eine Nähmaschine das Leben einer ganzen Familie ändern, die werden plötzlich alle zu Unternehmern, zu glücklichen Unternehmern!“

Thomas ist heute 45 geworden und hat uns zum Dinner eingeladen. An jedem seiner Geburtstage landen wir in einem noch teureren Restaurant. Das verdanken wir seiner erfolgreichen Consultingfirma. Thomas raucht Schröder-Zigarren, fährt einen Audi A8 mit Sitzheizung und Computerleitsystem und wählt neuerdings FDP. Dank dem elektronischen Leitsystem („fahren Sie an der nächsten Kreuzung links und nehmen Sie nach 300 Metern die Abbiegung rechts“) sind wir neulich nachts fast in einem Weiher gelandet, doch Thomas ist irre stolz darauf.

Nur heute leidet er, das liegt am Geburtstag. „Was den Körper betrifft, da geht es nur noch abwärts“, murmelt er düster. Ich mag nicht widersprechen. Schließlich entwickelte auch schon die Männerzeitschrift Men’s Health einen „Haltbarkeits-Check“ für die Geliebte. Die Testfrage lautete: „Wie lange sieht Ihre Partnerin noch gut aus?“ Es gab Pluspunkte für Sport und viel Schlaf; Minuspunkte dagegen für Sonnenbäder, Alkohol und Schwangerschaften, denn dadurch, so hieß es, „wird ihre Partnerin vorzeitig altern. Sparen Sie schon mal für die plastische Chirurgie!“ Das klang ermutigend.

„Wir werden doch alle älter und dicker. Aber früher war das ein Zeichen von Wohlstand. Nicht alles, was wir heute als Abstieg betrachten, galt früher auch als Abstieg“, tröstet uns Britt und schleckt einen Rest Sahne von ihrem Löffel.

Freddi ergänzt: „Ältere sind sowieso glücklicher als die Jüngeren, darüber gibt es Studien.“ Ich überlege, wie vielen seiner Patienten er schon mit diesen Forschungsergebnissen Mut gemacht hat. Freddi versteht sein Geschäft.

„Man kompensiert eben alles, das ganze Leben ist Kompensation, Anpassung“, meint Britt, „als meine Oma über 80 war, hat sie sich auch über jeden Sonnenstrahl gefreut. Ich fand das fast schon ein bisschen senil.“ „Wenn ich mich erinnere, wie depressiv ich mit 25 war, das könnte ich mir heute gar nicht mehr leisten“, fällt Bernhard ein. Thomas’ Miene hellt sich auf. Offenbar haben wir die Dinge in den richtigen Kontext gestellt.

Mir kommt da das Experiment mit den Rollstuhlfahrern in den Sinn: Dabei mussten die Probanden Fragen zu ihrer Lebenszufriedenheit beantworten. Wenn sich unter die Versuchspersonen ein Rollstuhlfahrer mischte, stieg die Zufriedenheitsquote der Probanden enorm an. Plötzlich erschien das eigene Leben als Nichtbehinderter irgendwie in hellerem Licht. „Vergleiche sind eine ganz wichtige Überlebenstechnik“, resümiere ich, „es gibt immer einen, dem es mieser geht.“ Zumindest gibt es immer einen, von dem man das glauben kann.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Langzeitarbeitslosen, der mir sagte: „Also, wenn ich an die Inder denke, dieses Elend und so weiter, dann geht es mir doch noch gut!“ Von den glücklichen Armen in Bangladesch habe ich da lieber nichts erzählt. Schließlich soll man die Dinge nicht komplizieren.

„Vielleicht ist sowieso alles nur Einbildung“, sagt Thomas. „Genau“, meine ich. Und warum soll der Kanzler dann nicht sagen, dass es aufwärts geht? Wir sind doch alle eine Versuchsanordnung. Nur Sie haben das noch nicht gewusst.

Fragen zu Gerüchten?kolumne@taz.de

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