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Zum goldenen Hirschen mit grünem Geweih

Die Grünen geben nach ihrer Klausur einen Vorgeschmack darauf, was uns in diesem Jahr erwartet: Ein differenzierter Wahlkampf der ganz neuen Art

BERLIN taz ■ Man kann sich in diesem Jahr auf einiges gefasst machen. Es ist Wahlkampf. Ab sofort. Immer. Überall. Der Wahlkampf kennt viele Formen, aber eine Form kennt er ganz besonders: die der differenzierten Darstellung der Wirklichkeit. Das ist nicht etwa ein Scherz, und eine Lüge ist es schon gar nicht, sondern nur die gängige Ansicht in so ziemlich jeder der Parteien. Die Politiker sind davon überzeugt, dass es eben darauf ankommt, welche Wirklichkeit man meint. Oberflächlichkeit? Schlichtheit? Keine Spur.

In der grünen Partei neigt man zwangsläufig dazu, die grüne Wirklichkeit zu beschreiben. Claudia Roth und Fritz Kuhn taten dies gestern ausführlich im Anschluss an eine dreitägige Klausur ihres Vorstandes, mit der das Wahljahr eingeläutet worden ist. Ursprünglich wollten die beiden Parteivorsitzenden ja den überarbeiteten Entwurf des neuen grünen Grundsatzprogramms vorstellen. Aber die Arbeit an dem Entwurf dauerte auf der Klausur so lange, dass der Vorstand erst am kommenden Montag die letzten Kapitel abschließen wird. So verloren sich Kuhn und Roth in allgemeinen Floskeln über die Grünen im Wahljahr. „Wir haben schon viel erreicht in der Regierung“, sagte Kuhn. „Wir werden noch mehr erreichen“, sagte Roth. „Wir sind geschlossener geworden“, sagte Kuhn. „Wir werden kämpfen“, sagte Roth.

Dann ging Fritz Kuhn zur – nun ja – politischen Analyse über. Die Regierung Schröder/Fischer solle fortgesetzt werden, sagte er, weil sie viel erreicht hätte. (Näheres siehe oben.) Die PDS habe mit der Koalitionsvereinbarung von Berlin ihren Glanz verloren. (Welchen Glanz?) Die FDP sei seit ihrem Dreikönigstreffen endgültig zur Egalpartei der Bundesrepublik geworden. Und die CDU habe nicht mal den Hauch einer Idee, was sie wolle.

Anschließend gab es – Wahlkampf! – Hirsche zu bewundern, goldene Hirsche. Zwei Chefs der jungen Hamburger Werbeagentur „Zum goldenen Hirschen“ umrissen in groben Zügen den Wahlkampf, den sie im Auftrag der Grünen führen wollen. Aggressiv werde er sein, humorvoll, neuartig. Auf jeden Fall mehr als nur Plakate und Fernsehspots. Dann präsentierten sie sozusagen als Appetithäppchen dieser neuartigen grünen Kampagne ein – Plakat. Sicher ist sicher. „Wir freuen uns auf Euch“, steht auf dem Plakat, darunter Fotos von Merkel, Stoiber, Westerwelle und Gysi. Sie gucken blöde aus der Wäsche. Wie sonst. JENS KÖNIG

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