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Klassentreffen im Rathaus

■ Achthundert Großkopferte und weniger Wichtige trafen sich zum Neujahrsempfang

„Is' ja doch jedes Jahr dasselbe“, verlassen einige schon nach einer guten Stunde den Neujahrsempfang des Senats in der immer wieder prächtig anzusehenden Oberen Rathaushalle. Und haben doch damit den Kern der Sache getroffen. Rituale dienen der Selbstvergewisserung. Nur dadurch, dass sie sich nicht ändern, geben sie ein gutes Pölsterchen ab gegen die unvorhergesehenen Dinge, die einen übers Jahr ereilen könnten.

Aber wie Bundespräsident und Kanzler, so hat natürlich auch der Präsident des bremischen Senats, Bürgermeister Dr. Henning Scherf, zu jedem Jahresempfang eine leicht variierte Botschaft. Jung sein, Unternehmer sein, in Bremen sein: das alles geht zusammen und ist kein Widerspruch. So könnte man den Geist der vier Reden zusammenfassen, die auf Einladung Scherfs von erfolgreichen Bremer Unternehmern gehalten wurden. 27 Jahre alt die eine, „und vor dreieinhalb Jahren habe ich mich mit meiner PR-Agentur selbstständig gemacht, nachdem ich eine journalistische Ausbildung gemacht habe und noch eine PR-Ausbildung drangehängt habe“. Heute hat die junge Dame, die im silbergrauen Jackett gut zu den dunkelblauen Zweireihern ihrer potentiellen Kundschaft passt, zwölf Angestellte und nochmal so viele freie Mitarbeiter. Hut ab, so weit kann man's selber nicht mehr bringen, denn die Zeit, sie läuft nicht rückwärts.

Eine Beobachtung, für die man auch im Publikum Belege findet. Halbglatze steht neben Halbglatze, Bart an Bart, aber ganz so altmännerbündlerisch, wie es die dunklen Karossen, die ausnahmsweise vor dem Rathaus parken dürfen, befürchten lassen, ist die Chose dann doch nicht. Frauen sind auch da und durchaus nicht alle als „Frau von...“. Obwohl die am meisten Spaß beim Gucken machen. Unglaubliche Kostüme werden nur noch durch unglaublichere Frisuren geschlagen. Wichtige Männergrüppchen posieren für den Fotografen und bitten eine Hutträgerin dazu. Alles wie gehabt.

Achthundert Menschen sind geladen. Manche sind Profis auf dem Parkett der gehobenen Bekanntschaften, schnappen sich im Vorbeigehen ein Sektglas und streben zielsicher in den gefüllten Saal, andere schlendern etwas unsicher. Hände zucken in den Sakko-Taschen – muss man den per Handschlag grüßen oder genügt ein höfliches ,Guten Tag, ein schönes Neues'? Nur wenige bewegen sich so souverän, wissen so genau, an welchen Platz der liebe Gott sie gestellt hat, dass sie weder Imponiergehabe noch Unsicherheit nötig haben.

Die Reden sind erträglich kurz, und wenn es langweilig wird, kann man immer noch dem Kellner mit der blasiertesten Nase der Weltgeschichte hinterherstaunen, wie er in roten Rockschößen und mit beladenem Tablett durch die eng gedrängte Menge wieselt. Die Handelskammer apelliert derweil ans unternehmerische Ethos: Nicht nur immer den Staat vorschicken, wenn's schwierig wird. Nicht nur immer auf's eigene Wohlergehen linsen, sondern auch als Wirtschaftsvertreter Verantwortung übernehmen, und er meint damit sogar: soziale Verantwortung.

Der nächste ist einer, „der nach dem Abitur in die Welt gegangen ist“ (Scherf) und dann zurück in Bremen einen internationalen Konzern für Business-Reisen gegründet hat. „TQ 3“, einer der wenigen global players in der Hansestadt. Er sagt, was alle hier hören wollen: Bremen hat Standort-Vorteile, die Hotelmieten sind in Ordnung, die Böttcherstraße haut seine Gäste regelmäßig aus den Schuhen. Bremen, sagt er, liegt nicht am nördlichen Rand Deutschlands, sondern in der Mitte Europas. „Ob sie von London nach Berlin oder von Hamburg nach Amsterdam fliegen – immer fliegen sie über Bremen.“ Dann sind doch alle froh, als zu Ende geredet ist und man an die Schnittchen darf. Warmes gibt's krisenbedingt schon lange nicht mehr zu diesem Anlass. Und so endet der Neujahrsempfang des Senats für einige auch diesmal ein paar Schritte weiter bei Wurst-Kiefert.Elke Heyduck

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