: Die Liebesspielerin
Festgelegt auf viel Haut: Auch in „Annas Sommer“ von Jeanine Meerapfel ist die Spanierin Ángela Molina als Fotografin an der Kamera unbeholfener als im Umgang mit jungen Männern. Ein Porträt
von CRISTINA NORD
Ihre erste große Rolle war die der Conchita in Luis Buñuels letztem Film, „Dieses obskure Objekt der Begierde“. Das war 1977, Ángela Molina war 22 Jahre alt und die spanische Gesellschaft, die Buñuel ins Exil und jede Kritik in die Metapher gezwungen hatte, im Aufbruch. Ein glücklicher Moment für das Land und für die junge Schauspielerin aus der Madrider Schauspielerfamilie, selbst wenn sie die Rolle, die sie international bekannt machen sollte, halb aus Zufall erhielt. Buñuel trug sich zunächst mit der Absicht, den Part des Hausmädchens, dem ein älterer Geschäftsmann auf so unwiderrufliche wie absurde Weise verfällt, mit Maria Schneider zu besetzen, nachdem sie ihn in „Der letzte Tango in Paris“ begeistert hatte.
Aber die Zusammenarbeit wollte nicht glücken. „Ich glaube, sie ist gut in den Filmen, in denen sie spielte, aber wir kamen nicht miteinander aus“, notierte Buñuel. „Beim Drehen mussten wir eine Szene nach der anderen wiederholen, sogar die einfachsten.“ Also wandte er sich an den Produzenten Serge Silberman, und schlug ihm vor, den Part mit zwei Darstellerinnen zu besetzen: Fernando Rey, der spanische Schauspieler, der den Geschäftsmann Mathieu verkörperte, hatte es allein deshalb mit einem obskuren Objekt zu tun, weil sich dieses Objekt entzog, indem es sich verdoppelte. Conchita hatte die kühle Schönheit der Carole Bouquet und die Sinnlichkeit der Ángela Molina. Der Film verrätselte sich, indem er zwischen den beiden Aktricen flirrte.
Die Sinnlichkeit hat Ángela Molina seither verfolgt, und das ist vielleicht eine Bürde. Wegen allzu freizügiger Szenen soll sie zwar schon Rollen abgelehnt haben, dennoch übernimmt sie immer wieder den Part derjenigen, die viel Haut zeigt und die Jüngeren einführt in die Liebe, zum Beispiel in Pedro Almódovars „Carne trémula“ („Live Flesh“, 1997) oder in dem jetzt anlaufenden „Annas Sommer“ in der Regie von Jeanine Meerapfel. Darin gibt sie die Fotografin Anna, die sich auf einer griechischen Insel von ihrer verzweigten Familiengeschichte einnehmen lässt. Ihre Arbeit an der Kamera hat etwas Unbeholfenes verglichen mit ihrem Umgang mit dem jungen Nikola (Agis Emmanouil). Eine merkwürdige Verzerrung übrigens gegenüber ihrer zarten Erscheinung jenseits der Leinwand. Wer Ángela Molina als Clara in „Carne trémula“ oder als Sevillana-Sängerin Pepita in dem spanischen Zweiteiler „Las cosas del querer“ erlebt hat, wer gesehen hat, wie sie die hohen Absätze in den Bühnenboden rammt oder die Mutter und Managerin in Wortkaskaden gegen die Wand redet, wird die, die an einem verregneten Morgen in einem Kölner Hotel etwas zu spät zum Interview erscheint, erst dann für Ángela Molina halten, wenn sie zu reden beginnt mit dieser für sie so charakteristischen Stimme. Wie aufgerauht, immer kurz davor zu kippen oder hinter den Mandeln zu versiegen.
Die Sinnlichkeit mag damit zu tun haben, dass Ángela Molina vor allem in spanischen Produktionen zu sehen ist. Der spanische Film hat nicht nur ein Faible für den melodramatischen Exzess, sondern auch für Sexszenen. Und wenn viele spanische Schauspieler – allen voran Antonio Banderas, Javier Bardem folgte ihm bald, Penélope Cruz ließ nicht auf sich warten – nach Hollywood gehen, um dort in seltsam ironischer Wendung zunächst Chicanos zu spielen (es dauerte eine Weile, bis etwa Steven Soderbergh für „Traffic“ Schauspieler mit Latino-Background castete), so hat Ángela Molina daran kein Interesse. Ob sie Hollywood anziehe? „Das ist eine Frage, die ich mir zu stellen keine Zeit habe. Für mich ist das Kino das Kino der Welt, und wo man mich braucht, gehe ich hin. Aber es stimmt durchaus, dass mir einige Male ein wichtige Rolle entgangen ist, weil ich nicht gut genug Englisch spreche. Um es zu lernen, fehlt mir die Zeit.“
In „Annas Sommer“ spricht Molina eine Menge Englisch, ein paar Brocken Deutsch dazu, Griechisch und natürlich Spanisch. Jeanine Meerapfel lässt die Figuren zwischen der griechischen Insel, London, Berlin und dem nordspanischen Galizien pendeln und packt dabei mehrere Jahrzehnte Geschichte – von Flucht, Vertreibung, Exil – in den Film. Das führt zu einem Gedränge, das den einzelnen Schauplätzen und Zeitstufen die Tiefenschärfe nimmt. An Molinas Seite gibt Herbert Knaup den Gefährten Max in buchhalterischer Verlässlichkeit, ein ungleiches Paar. Über die Dreharbeiten mit Knaup sagt Molina: „Er ist ein sehr intelligenter Mensch, fröhlich und humorvoll. Mir macht es Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten, er schafft so eine Leichtigkeit, für die ich ihm dankbar bin, denn ich bin auf eine bestimmte Art heftig. Mit der Leichtigkeit ergibt dies eben die Dialektik, die nötig ist, um gemeinsam etwas zu erschaffen.“
Wenn die Figur der Anna zwischen vielen Orten pendelt, so hat dies etwas Symptomatisches. Häufig verkörpert Molina Figuren, die von einem Winkel der Welt in einen anderen verschlagen werden. Es hängt damit zusammen, dass sie neben den spanischen auch an lateinamerikansichen Produktionen (bzw. Koproduktionen) mitwirkt, in denen Exil und Migration verhandelt werden: ein Stück Globalisierung jenseits von Hollywood. Wie sie zu ihren Stoffen kommt? „Ich muss mich mit der Geschichte identifizieren können. Ich habe einen guten Instinkt bei der Auswahl, und ich glaube, dass ein Schauspieler im Laufe seines Lebens ein bestimmtes Gewebe herstellt, das andere zur Kenntnis nehmen.“ „Cet obscur objet du désir“ übrigens fußte auf einem Roman, der zuvor schon zweimal verfilmt worden war: 1935 von Josef von Sternberg als „The Devil is a Woman“, 1958 von Julien Duvivier als „La femme et le pantin“ („Ein Weib wie der Satan“). Im ersten Film spielte Marlene Dietrich die Hauptrolle, im zweiten Brigitte Bardot.
„Annas Sommer“. Buch und Regie: Jeanine Meerapfel, mit Ángela Molina, Herbert Knaup, Dimitris Katalifos u.a., D/GR/SP, 2001, 107 Min.
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