Bremer Radelremmidemmi

■ Sechs-Tage-Rennen: Ganz Delmenhorst, die Spider Murphy Gang, Hartmut Perschau und Sabine Christiansen besuchen das einzige Bremer Ereignis von Weltformat

Wenn Bremen und die Bremer überhaupt Dinge von Format stemmen können, ist das unzweifelhaft an diesen wenigen sechs Tagen im Jahr. Die 38. Sixdays – ein Event mit Weltgeltung. Auf jeden Fall ist ganz Delmenhorst da. Kegelclubweise schiebt sich ein massiver Männerüberschuss durch die tiefgaragigen Gänge des Radel-Remmidemmis.

Der Eröffnungstag: Tickets ab 35 Euro, 19.500 Gäste, 180 Ordner, 300 Journalisten, 98 Gardrobieren, 100 Putzfrauen und 700 Leute an den Fress- und Saufständen. Die Spider Murphy Gang tritt auf, Klaus & Klaus, die Rattles und Cindy & Bert kommen noch. Es gibt Stände mit Öllampen, Wurf- und Würstchenbuden, einen Hau-den-Lukas, brasilianische Bars, Indoor-Autoscooter, Shops mit blinkenden Kopfpuscheln und Postkarten von Erik Zabel oder Miguel Indurain, die Space-Sonnenbrillen groß wie zwei Spiegeleier tragen.

Das rosa Renault-Duo

Zum Glück ist Hartmut Perschau (CDU) da. Verloren wie immer steht der Finanzsenator an diesem Tag auf der 166,6 Meter langen Holzbahn rum, als könne er kein Wässerchen trüben. Halle 1 ist proppenvoll, ein Pulk Fotografen blockiert die Bahn. Jubel und Blitzlichtgewitter, als die Radler gladiatorengleich zum Line-up rollen: Die roten Teufel der Sparkasse, das Daewoo-Team, die Mannschaft vom Hellweg Zentrum und das Renault-Duo im rosa Trikot, das sich gaaaanz besonders herzlich umarmt.

Fast 1.000 Kilometer werden die 24 Fahrer in diesen sechs Tagen über die Piste rauschen, satte 50 Stunden lang um die Loge hetzen, in der ein vergnügter Sportsenator vor seinem Bier (0,4 Liter, drei Euro) sitzt: Kuno Böse (CDU) patscht rhythmisch auf den Tisch und pfeift den „Berliner Sportpalastwalzer“ mit – das ist sowas wie die Sixdays-Hymne. Gleich geht–s los.

Wenn das so einfach wäre. Frank Minder ist puterrot angelaufen. Der Rennchef: Von Bart und Statur her ein Bulle, ein Typ wie Hindenburg. Ein Choleriker, der Zigaretten wie andere Lakritzstangen verschlingt. Aber auch ein Lenker, der jovial und aalglatt wie die kahlrasierten Beine der Radfahrer reden kann. Doch jetzt knackst das Stadionmikro, das größte Sechs-Tage-Rennen Bremens und der ganzen Welt droht zu scheitern, bevor es überhaupt angefangen hat. Perschau grinst verschämt wie ein Lausbub gen Boden, Hindenburg herrscht panisch „Was ist da los?“ in Richtung Mischpult.

Perschaus Einsatz

Es ist 21 Uhr, CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff erzählt von „Bremens Antwort auf den Kölner Karneval“. Und davon, dass seine Six-days-Nächte schon morgens um fünf an der Maritim-Bar geendet haben. Oha!

Dann Perschaus Einsatz, vielleicht die sinnvollste Tat seines Tages: Er stützt den Arm der überschminkten Unicef-Botschafterin Sabine Christiansen, als sie zum Startschuss aus dem silbernen Colt mit dem elfenbeinfarbenen Griff ansetzt. Es knallt, Sabine herzt Hartmut dankend: Vollbracht! Die Halle tobt, die Sixdays sind eröffnet, Kuno Böse schüttet sein zweites Bier um.

Das Stadioninnere ist überhaupt randvoll mit Promis: Henning Scherf ist da, Jörg Wontorra ist auch da, Udo Lindenberg, Heinz Hoenig, Roger Moore und Nina Ruge wollen kommen. Ist ja auch für einen guten Zweck: Die Six-days läuten das Bremer Unicef-Jahr ein, für das sich Botschafterin Christiansen (1,68 Meter) auch mal gerne mit Scherf (zwei Köpfe größer) fotografieren läßt.

Kuno Böse geht um 10, die Haare zerrauft, fast gleichzeitig mit der Unicef-Botschafterin, die zum Abschied gelbe Nelken von Andreas Kappes, dem Sieger des ersten Rennens, einsteckt.

Während um ihn herum der Rummel tobt, dreht Robert Slippens die ersten der 5.900 Runden. „Langweilig? Quatsch“, sagt der WM-Vierte 2000 im Mannschaftsfahren. „Die Schlittschuhleute fahren im Kreis, die Formel 1-Typen auch. Ist doch Adrenalin pur.“ Und so wird der Holländer noch bis Dienstag bei knapp 70 Sachen Spitze den Rundenrekord (neun Sekunden) jagen. Und hoffen, dass er auch in der Beck's-Kurve mit 70 Grad Neigung nicht aus der Bahn fliegt. Am ersten Tag ging alles glatt. Zusammen mit Danny Stam war Slippens um zwei Uhr früh immerhin dritter. Kai Schöneberg