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Mit 27 schon Legende

Nach seinem historischen Vierfachsieg bei der Vierschanzen-Tournee geht das Leben auch für Sven Hannawald weiter. Die Frage ist nur: Wie? Die einzig richtige Antwort lautet: Mit noch mehr Siegen

von KATHRIN ZEILMANN

Es ist wieder Alltag. Trainer Wolfgang Steiert hat ihn nach Hause in den Schwarzwald gefahren, dort hat er seine Sachen ausgepackt, gewaschen, um sie am Donnerstag gleich wieder einzupacken. Aber ob Sven Hannawald den Alltag im neblig-trüben Winterwetter überhaupt so recht wahrgenommen hat? Ob er mit seinen Gedanken nicht noch bei den sonnigen ersten Tagen des neuen Jahres weilte, die so viel Positives für ihn gebracht haben? In Willingen im Sauerland ist an diesem Wochenende schon wieder Weltcup. Und Hannawald reist an als der Springer, der als erster alle vier Springen der Vierschanzentournee gewonnen hat, der „einen Mythos zerstört hat“, wie das Österreichs Cheftrainer Toni Innauer pathetisch anzumerken wusste.

Dieser Sven Hannawald war es also, der das fast Unmögliche mit einer scheinbar spielerischen Leichtigkeit vollbracht hat, so sehr, dass selbst Reinhard Heß in für seine Verhältnisse geradezu ekstatische Gefühlsausbrüche verfiel. „Ich ziehe meinen Hut vor ihm“, kleidete der Skisprung-Bundestrainer seine Begeisterung in Worte. Ihm gleich tat es die Konkurrenz, die den 27-Jährigen Hannawald, dessen Karriere 1997 scheinbar vor dem Aus stand und der im vergangenen Winter die Saison kraftlos und müde vorzeitig beendete, nun bewundernd anschaut und ihm höchste Achtung zollt.

Heute und morgen also der Wettkampf in Willingen. 60.000 Zuschauer werden ihn sehen wollen, am besten soll er wieder allen davonfliegen, wieder Rekorde und Siege sammeln. Aber so einfach wird das nicht werden. „Sven wird auch wieder schlechtere Platzierungen haben. Aber das wird er verkraften“, sagt Steiert, sein Trainer seit Jugend an. Genauso wie Martin Schmitt es verkraftet, dass sein Teamkollege in der Gunst der Öffentlichkeit an ihm vorbeigeflogen ist und der bisherige Superstar der deutschen Springerszene nunmehr nur noch in der zweiten Reihe steht. Mehr noch: Der hannawaldschen Siegesserie kann Schmitt sogar positive Seiten abgewinnen, hat sie ihm doch die Möglichkeit eröffnet, ohne allzu großen Druck aus der Krise springen zu können.

Sie wollen es nicht gerne hören im deutschen Team, aber die Hackordnung hat sich unweigerlich geändert. Denn spätestens seit Schmitt vor gut einem Jahr in einem FAZ-Interview vom Neid der Kollegen aus der eigenen Mannschaft gesprochen hatte, war klar, dass auch die scheinbar heile Welt der deutschen Skispringer Fassade ist – und durchaus eine Kluft zwischen Stars und Mitläufern existiert. „Es ist eine Schere, die immer weiter auseinander geht“, erklärt Heß mit Sorgenfalten auf der Stirn, „das geht schon beim Material los.“ Was nichts anderes bedeutet als: Bessere Springer verfügen über besseres Material. Dass Heß einigen seiner Athleten mit eben diesem besseren Material auch bessere Sprünge zutraut, macht die Angelegenheit nicht eben einfacher. Zumal sicher scheint, dass mit Hannawalds gigantischem Sieg die Schere noch weiter aufgeht:

Schmitt, der drei Winter lang fast alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gab im Weltcup und bei Weltmeisterschaften, dürfte, so sieht es derzeit jedenfalls aus, wieder zu alter Stärke zurückfinden. Und Tourneesieger Hannawald wird wohl, beflügelt von seinen Erfolgen, seine Form konservieren können bis Olympia. Für einen dritten Skispringer aber wird in den Herzen all der schmachtenden Teenies kaum Platz sein.

Ziemlich fest dürfte auch stehen, dass sich Hannawalds Leben nach dem denkwürdigen 6. Januar von Bischofshofen verändern wird, nicht nur weil er seinen Kontostand gehörig wird aufbessern können. Hannawald ist zu einem deutschen Sport-Superstar geworden, was man schon daran erkennen kann, dass ihm die Gemeinde Hinterzarten ein Grundstück angeboten hat. Bedingung: Er muss mindestens die nächsten zehn Jahre im Schwarzwälder 3.000-Seelen-Dorf wohnen bleiben. „Wir freuen uns für unseren Sven“, jubiliert der Bürgermeister, im Hinterkopf dürfte er schon ausrechnen, wie viele zusätzliche Touristen der Name Hannawald in seine Gemeinde führen wird. Einen Empfang der Wahlheimat hat die „lebende Legende“, wie der 27-Jährige nach dem Vierfachsieg beschrieben wurde, allerdings abgelehnt, er wolle dann doch seine Ruhe haben und sich auf den Weltcup konzentrieren, ließ er wissen.

Außerdem ist ja bald Olympia – und spätestens dann wieder Zeit für sporthistorische Großtaten. Als Steffi Graf 1988 den Grand Slam holte, also die vier wichtigsten Tennisturniere der Saison gewann, und dem ganzen noch eine olympische Goldmedaille aufsetzte, wurde der Begriff „Golden Slam“ kreiert. Sollte auch Hannawald sich in Salt Lake City mit Gold dekorieren, hieße es ganz bestimmt gleich.

Derweil wird die versammelte Konkurrenz, die sich eben noch ehrfürchtig vor Hannawald verneigt hat, nach Mitteln und Wegen suchen, den neuen Überflieger zu überfliegen. Und spätestens zur 51. Auflage der Tournee Ende Dezember dieses Jahres werden die Herren Goldberger, Widhölzl, Malysz, Schmitt und wie sie alle heißen, versuchen, es Hannawald nachzutun. „Dass einer alle vier Springen gewinnt, wird dennoch die Ausnahme bleiben“, sagt Toni Innauer. Die Ausnahme heißt Hannawald.

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