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Das Denken verändern

In Seattle treffen sich Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft einmal monatlich zum Essen und sprechen dabei über „Race“. So soll Vertrauen gebildet und Rassismus bekämpft werden. Mittlerweile gibt es Hunderte solcher Gesprächsgruppen

von SABINE AM ORDE

Auf dem Wohnzimmerboden liegt eine bunt bedruckte Baumwolldecke mit den Pappschachteln und Styroporbechern darauf, die das Restaurant Snappy Dragon vor einer halben Stunde geliefert hat. Vier Männer und drei Frauen sitzen rund um die Decke auf dem Fußboden. Es riecht nach Huhn süß-sauer und Garnelen in Erdnusssoße. „Kürzlich wollte jemand mit mir über die genetischen Aspekte von Hautfarben reden“, sagt Happie. „Früher hätte ich das einfach ignoriert, jetzt hab ich ihm meine Meinung erklärt.“ „Das ist bei mir ganz ähnlich“, fällt Penny ein. „Ich habe oftmals gar nicht reagiert oder eben ganz heftig, und beides hat einfach nichts bewirkt.“

Früher, das ist gerade mal ein knappes Jahr her. Damals kannten sich die meisten der sieben, die sich jetzt in Lisas Wohnzimmer im Norden Seattles versammelt haben, noch nicht. Doch sie alle wollten etwas ganz Ähnliches: Sie wollten über „Race“ reden, also über alles, was in einem Land wie den USA mit unterschiedlicher Hautfarbe und ethnischer Herkunft zu tun hat. Und sie wollten mit Leuten reden, die anders sind als sie. Deshalb haben sie sich beim Urban Enterprise Center, einer Einrichtung der Stadt, in eine Liste eingetragen.

Beim ersten Treffen war noch ein Supervisor vom Urban Enterprise Center dabei. Heute trifft sich die Gruppe, die inzwischen aus vier Weißen, zwei Schwarzen und einem Asian-American besteht, zum neunten Mal. Immer wird ein Essen serviert, immer vertraulich über Race geredet – und über vieles andere eben auch.

Die Idee zu den Gruppengesprächen stammt vom Leiter des Urban Enterprise Centers Hermann McKinney. 1995, während der Mordprozess gegen den Ex-Football-Star O. J. Simpson lief, bekam er einen Anruf. McKinney ist schwarz. Der Anrufer, ein Freund von ihm, ist weiß, und hatte das Selbstbild, ein aufgeklärter Mensch zu sein. Doch als er den Prozess im Fernsehen verfolgte, wurde er unsicher. Er hielt Simpson für schuldig. Zum Teil, wie er feststellte, weil Simpson schwarz ist.

Der Freund wollte mit McKinney sprechen. Die beiden trafen sich zum Mittagessen und redeten – drei Stunden lang. „Das Ganze hat ihn verunsichert, er dachte, er sei über das Thema Race hinaus“, sagt McKinney über seinen Freund. „Wir haben offen geredet und vereinbart, dass das Ganze unter uns bleibt. Danach ging es uns besser.“

Auf diese Erfahrung hin entwickelte McKinney die Idee des Gesprächsforums, zunächst allerdings in öffentlicher Form. Bekannte Redner sollten beim Lunch über Race sprechen.

Bill Bradley, damals demokratischer Senator aus New Jersey, machte im Juni 1997 den Anfang. Zufällig rief zur selben Zeit der damalige Präsident Bill Clinton die ganze Nation zu solchen Gesprächen auf. Zum Essen mit Bradley kamen Hunderte, viele trugen sich in Listen ein, um die Gespräche im kleineren Kreis beim Dinner in Privaträumen fortzusetzen. Die Gruppe von Lisa, Happie, Lloyd und den anderen ist eine, die aus diesen Listen entstanden ist. Insgesamt hat es seitdem über 300 solcher Dinner in Seattle gegeben. Rechnet man die Vorträge zur Mittagszeit dazu, haben sich bisher über 10.000 Menschen an den Foren über Race beteiligt.

Lisa ist Programmmanagerin beim YWCA. Vor acht Jahren ist sie von San Diego nach Seattle gezogen. Die 35-jährige Farbige glaubt fest daran, dass man sich und andere nur durch Auseinandersetzungen verändern kann. Und sie ist sich sicher, dass sie von einer weit über 70-jährigen weißen Frau wie Happie oder John, einem Schwarzen, der in den Südstaaten aufgewachsen ist, etwas lernen kann.

„Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mich auf dieser ganz persönlichen Ebene mit Rassismus beschäftige“, sagt Lisa. „Wenn du schwarz bist, ist sie ja immer da, diese Frage: Ist es wegen meiner Hautfarbe?“ - „Für Weiße ist das anders“, fällt die 70-jährige Happie ein. „Wenn wir nicht wollen, brauchen wir uns unser ganzes Leben nicht mit Rassismus zu beschäftigen.“

Doch reicht es, sich mit Rassimus in Gesprächen auseinander zu setzen? „Natürlich nicht“, sagt Penny, „aber alle Veränderungen fangen mit kleinen Schritten an.“ Penny ist weiß, in den Fünfzigern und arbeitet als Lehrerin. John, schwarz, Mitte 40 und Berater, stimmt zu. „Egal ob durch Gespräche oder durch politische Aktionen, es geht doch darum, das Denken von Menschen zu verändern“, sagt er. „Zu wenig Gespräche, zu wenig Verständnis, das hat uns doch genau dahin gebracht, wo wir jetzt sind.“

Penny und John meinen, dass es in der Gruppe vor allem um Vertrauen gehe. Darum, Raum zu schaffen, in dem man sagen kann, was man wirklich denkt. Happie nickt. Auch Lloyd, dessen Großeltern aus Japan in die USA eingewandert sind, stimmt zu. „Sonst hat man immer Angst, dass einem der Kopf abgerissen wird, wenn man was Falsches sagt.“

„Man muss Vertrauen haben, damit man über solche Sachen spricht“, so Penny. Sie kennt John schon seit Jahren, aber zuvor haben die beiden das Thema Race nie berührt. John, der bei seiner Arbeit als Berater häufig auch mit Rassismus zu tun hat, bringt die Gruppe vor allem Unterstützung. „Hier kann ich über schlechte Erfahrungen und über Frust reden, das geht im Job nicht.“

Ganz fremd war allen sieben die Auseinandersetzung mit Rassismus allerdings nicht. Und genau deshalb werden die Gesprächsgruppen auch kritisiert. Das Argument der Gegner: Das sei wie Eulen nach Athen tragen. Die, mit denen man wirklich über Rassismus diskutieren müsse, würden nicht erreicht. Zudem seien die Gruppen viel zu homogen. „Das stimmt“, gibt Penny zu. „Wir sind alle aus der Mittelschicht. Und es ist schwer, People of Colour für die Gruppen zu gewinnen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.“ Viele schwarze Aktivisten wollen sich nicht an den Gruppen beteiligen. Sie denken, dass Rassismus ein Problem der Weißen ist und sind es leid, entsprechenden Nachhilfeunterricht zu erteilen.

Lisa findet das falsch. „Wir haben schließlich alle unsere Vorurteile.“ Eines sei, dass die schwarze Community ein engeres Verhältnis zur Religion habe. „Die schwarze Community“, stöhnt Lisa auf. „Was heißt denn das? Ich bin Lisa und nicht die schwarze Community. Außerdem bin ich katholisch, was ausgesprochen selten ist.“ Das ist etwas, was Lisa und auch John nervt. Wenn sie für alle Afroamerikaner sprechen sollen, nur weil sie dieselbe Hautfarbe haben. „Das ist fast so schlimm“, sagt Lisa, „wie mit jemandem zu reden, der glaubt, nicht rassistisch zu sein, weil er gerade chinesisch essen war.“

John kennt das von den Antirassismustrainings für die Beschäftigten der Stadt. Davon hält er nicht viel. „Da gibt es nur Vorträge, keine kleinen Gruppen, keine persönlichen Gespräche“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass man so viel ändern kann. Die persönliche Auseinandersetzung in der Gruppe, glaubt er, sei das, was zähle.

Themenwechsel: Es geht um illegale Einwanderer aus Mexiko und den weißen Polizisten, der einen Schwarzen erschossen hat, um Statussymbole und Kinofilme. Die Glückskekse von Snappy Dragon sind längst verspeist, jetzt holt Lisa zum Nachtisch Schokoladenkuchen aus der Küche. Dabei wird über den nächsten Termin debattiert.

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