„Die grüne Handschrift zählt“

Die Grünen sollten sich nicht klein machen, fordert Andrea Fischer. Christian Ströbele setzt auf Kritikfähigkeit und eine ehrliche Bilanz des Erreichten

Moderation SABINE AM ORDE
und UWE RADA

taz: Zwei Tage bevor die Berliner Grünen ihre Bundestagskandidaten bestimmen, wird in der Hauptstadt ein rot-roter Senat gewählt. Graut es Ihnen schon vor Rot-Rot im Bund?

Andrea Fischer: Die SPD hat sich eine weitere Option geschaffen. Dieses letzte Tabu ist gefallen, und das ist ein bedeutsamer Vorgang.

Nicht gerade angenehm für die Grünen.

Fischer: Ja, aber erst mal hat die SPD ein Problem. Weil viele Menschen aus der neuen Mitte diese Option nicht gerade schätzen.

Christian Ströbele: Mir graut überhaupt nicht. Ich sehe das eher als Herausforderung. Auf Bundesebene spricht allein schon die Außenpolitik dagegen, die PDS an der Regierung zu beteiligen.

Für Rot-Grün wird es nach der Bundestagswahl höchstwahrscheinlich nicht reichen. Was ist Ihre Option: Rot-Rot-Grün, die Ampel oder ab in die Opposition?

Fischer: Wir machen Wahlkampf für Rot-Grün. Koalitionen kann ich mir weder mit der PDS noch mit der FDP vorstellen.

Sie glauben noch an Rot-Grün? Neueste Umfragen lassen eher den GAU befürchten, dass die Grünen an der Fünfprozenthürde scheitern.

Fischer: Ich glaube an einen rot-grünen Wahlsieg, deshalb rede ich jetzt nicht über den GAU. Und weil wir gewinnen werden, brauchen wir jetzt auch keine 4,9-Prozent-Szenarios. Wir wissen, dass das ein beinharter Wahlkampf wird, von einer ähnlichen Bedeutsamkeit wie der von 1990 . . .

. . . als die Grünen aus dem Bundestag geflogen sind.

Fischer: Aber diesmal wollen wir gewinnen. Und dafür kämpfen wir.

Herr Ströbele, denken Sie schon an die außerparlamenatrische Opposition?

Ströbele: Ich bin sicher, dass es die Grünen weiter geben wird, weil unsere Themen – Umweltschutz, Einwanderung, Frieden, Demokratische Freiheitsrechte, Globalisierung – noch lange nicht erledigt sind, auch wenn inzwischen selbst die CDU in ihr Programm etwas von Ökologie und Zuwanderung schreibt.

Das klingt nach Pfeifen im Walde.

Ströbele: Nein. Zu häufig wurde das Ende der Grünen vorhergesagt. Doch allen Unkenrufen zum Trotz gibt es sie weiterhin. Das wird auch nach dieser Wahl so sein.

Fischer: Mit 1990 kann man die Lage auch insofern nicht vergleichen, als wir damals extrem zerstritten waren. Mit dem Slogan „Alle reden von der Einheit, wir reden vom Wetter“ haben wir eine Klimakampagne gemacht. Damals haben wir uns der zentralen Frage, der Wiedervereinigung, nicht gestellt. Das ist diesmal ganz anders.

Ströbele: Entscheidend ist aber doch: Bürgerrechte, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Krieg und Frieden sind für zukünftige Generationen so wichtig wie heute. Die Themen bleiben.

Fischer: Ich glaube, ein Grund, warum wir bei den letzten Wahlen schlecht abgeschnitten haben, ist unser Selbstverständnis. Wir messen unsere Ergebnisse an einer möglichst weit reichenden Ausgangsforderung. Dann bleibt immer ein Minus unterm Strich. Aber wir sind nun mal der kleinere Koalitionspartner, wir können nicht das eigene Programm durchsetzen. Für mich zählt, ob eine grüne Handschrift zu erkennen ist, ob wir sagen können: It makes a difference.

Ströbele: Ich bin für Klarheit und Ehrlichkeit. Das Atomgesetz etwa bringt nicht das, wofür wir jahrzehntelang gestritten haben und 1998 gewählt worden sind. Deshalb sollten wir auch nicht so tun als ob. Trotzdem habe ich zugestimmt, weil es ein wichtiges Signal zur Gefährlichkeit und zum Ende der Kernenergienutzung ist. Wir müssen sagen, was erreicht wurde und was nicht und warum nicht mehr drin war. Unsere Wähler wollen nichts schöngeredet haben.

Fischer: Hier geht es nicht ums Schönreden. Jeder weiß auch ohne lange Erklärung, dass das kein Sofortausstieg ist. Aber ohne uns hätte es dieses Gesetz überhaupt nicht gegeben. Wir sollten uns nicht so klein und schwach machen, indem wir die Differenz zur Maximalforderung als Verrat auslegen.Wir sollten endlich aufhören, uns selbst zu denunzieren, weil wir Kompromisse machen.

Ströbele: Im Berliner Abgeordnetenhauswahlkampf wurde mir immer wieder entgegengehalten: Erzählt uns nichts vom großen grünen Erfolg, wenn wenig, mehr Symbolisches erreicht wurde. Aber es bleibt doch richtig, weiter für den schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie einzutreten. Deshalb gehe ich zum Beispiel auch zu Demonstrationen gegen die Nutzung der Atomenergie.

Fischer: Aber es ist doch inkonsequent, gegen sich selbst zu demonstrieren. Wenn das so falsch ist, was ich gemacht habe, dass ich dagegen demonstrieren muss, dann hätte ich es nicht machen dürfen. Wir müssen zu unseren Entscheidungen stehen. Die andere Perspektive haben uns immer wieder in die Niederlage geführt.

Ströbele: Das sehen andere anders. Ich erfahre Zustimmung auch bei den Wählerinnen und Wählern. Und ich demonstriere nicht gegen das Atomgesetz, sondern wegen der Gefahren der Nutzung der Atomenergie und für ein schnelleres Auslaufen der AKWs.

Machen wir es mal konkreter. Nehmen wir an, Sie könnten drei Dinge an Ihrer Partei sofort verändern, was würden Sie tun, Frau Fischer?

Fischer: Die Partei soll selbstbewusst in den Wahlkampf gehen. Sie soll ehrlich sein, aber braucht sich nicht für jede Diskrepanz zwischen unserem Programm und dem Erreichten entschuldigen. Und sie muss gute Antworten auf die zentralen Fragen der nächsten Legislaturperiode geben: Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Energiepolitik, Zuwanderung. Das besonders, weil Stoiber Kanzlerkandidat ist.

Ströbele: In dem Punkt gebe ich Andrea recht: Wir müssen wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Das erreichen wir über ehrliche Bilanz unseres Handelns in Regierung und Koalition und daraus abgeleiteten Forderungen und Aufgaben für die zukünftige Politik. Und wir dürfen nicht alle paar Monate ein neues Thema aufmachen. Sicher wird zu Recht erwartet, dass wir in möglichst allen Bereichen der Politik vernünftige Antworten haben. Aber gewählt werden wir in erster Linie, weil die Grünen von ihren ursprünglichen Aufgaben – Friedenspolitik, Ökologie, demokratische Rechte, Frauenpolitik – noch unendlich viel zu erledigen haben.

Ihr Rezept ist also: Besinnen auf Altes?

Ströbele: Nein. Für die nächste Legislaturperiode müssen wir den Wählern klar sagen: Wie sieht die neue grüne Friedenspolitik in Zukunft aus? Wo sind die Grenzen dessen, was wir in der Regierung mittragen? Und bitte glaubhaft und durchhaltbar. Und wie geht es weiter mit den Freiheitsrechten und mit dem ökologischen Umbau? Das bleiben aktuelle Themen, da müssen wir weitermachen. Drittens möchte ich, dass die Grünen sich wieder stärker für soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik und gegen die Folgen der Globalisierung engagieren.

Sie konkurrieren beide um den halbwegs sicheren Platz 2 der Berliner Landesliste für den Bundestag. Frau Fischer, Realos und Pragmatiker gibt es viele in Ihrer Partei. Können die Grünen auf eine linkes Aushängeschild wie Christian Ströbele verzichten?

Fischer: Das werden die Mitglieder am Samstag entscheiden. Wer mich und meine politische Geschichte und die Geschichte meines Rücktritts kennt, weiß, dass ich keine Auftragnehmerin der realpolitischen Strömung bin. Ich will, dass die Grünen mit ihren Inhalten Erfolg haben, und ich glaube, dass ich mit dem, wofür ich stehe, dazu einen Beitrag leisten kann. Bio- und Sozialpolitik werden zwei große Themen in der nächsten Legislaturperiode sein.

Sie fühlen sich in die falsche Schublade gesteckt?

Fischer: Ich verstehe, dass Sie das zuspitzen. Christian genießt einen sehr starken Ruf als Vertreter einer Strömung.

Wofür stehen Sie?

Fischer: Ich stehe für Themen und auch für programmatische Veränderungen, zum Beispiel in der Friedenspolitik. Das ist keine reine Machtfrage für mich. Ich habe mich in den letzten Jahren wirklich geplagt mit der Frage, wie wir sowohl mit dem Antikriegsimpuls als auch mit dem Menschenrechtsimpuls unter veränderten weltpolitischen Bedingungen umgehen können. Das war ein politischer Denk- und Lernprozess, unabhängig von der Regierungsbeteiligung.

Herr Ströbele, Sie waren in der letzten Zeit sehr präsent, sowohl im CDU-Untersuchungsausschuss als auch im Streit um die Bundeswehreinsätze. Bei Letzteren haben sie eine linke Schlacht geschlagen und wieder einmal verloren. Wollen Sie weiter Feigenblatt sein?

Ströbele: Ich kämpfe dafür, dass meine Positionen in der Bundestagsfraktion – gerade auch die der Friedenspolitik – vertreten bleiben, nicht nur durch mich, sondern auch durch Abgeordnete aus anderen Landesverbänden. Ich sehe es nicht so, dass alle Schlachten geschlagen sind. Ich habe mich übrigens bei Militäreinsätzen stets so entschieden, wie wir es in unserem Programm zur Bundestagswahl 1998 beschlossen und versprochen hatten.

Fischer: Das gilt seit dem Bielefelder und dem Rostocker Parteitag der Grünen nicht mehr.

Ströbele: Doch. Das waren Entscheidungen nur für die besondere Situationen, keine Programmrevision. Nachträgliche Beschlüsse zu unseren Entscheidungen im Bundestag. So wurde zuletzt in Rostock die Entscheidung der Fraktion, mehrheitlich dem Kriegseinsatz der Bundeswehr zuzustimmen, zwar akzeptiert, sonst aber die Friedenspolitik der Bündnisgrünen bekräftigt. Ich verkenne natürlich nicht, dass faktisch eine wichtige grüne Position geräumt wurde. So hat es die Öffentlichkeit auch gesehen. Aber die Ablehnung der Kriegseinsätze entspricht den Programmaussagen und den Beschlüssen des Berliner Landesverbands.

Die Entwicklung bei den Grünen geht doch eher in eine andere Richtung. Wäre es da nicht konsequent, einer Frau wie Andrea Fischer den Listenplatz zu überlassen?

Ströbele: Ich trage doch die Mitverantwortung für die Politik zu Krieg und Frieden, auch wenn ich gegen Kriegeinsätze gestimmt habe. Trotzdem will ich helfen, dass diese Regierung und Koalition ihre Arbeit fortführen können. Ich sehe nämlich auch, dass wir viel erreicht haben. Die Lösung der Probleme, etwa der Globalisierung oder des sozialen und ökologischen Umbaus, ist zu wichtig, als dass wir verantworten könnten, die Chancen, die in der Regierungsbeteiligung liegen, nicht zu nutzen.

Und wenn das alles nicht klappt? Was machen Sie, wenn Sie nicht mehr in nächsten Bundestag sitzen?

Ströbele: Ich habe den ehrlichen Beruf eines Rechtsanwalts, habe ein Büro und zahle die Beiträge an die Rechtsanwaltskammer.

Fischer: Und ich habe den ehrlichen Beruf einer Ökonomin, dafür besteht immer Bedarf. Aber ich kämpfe jetzt dafür, dass die Grünen weiter dieses Land gestalten können.