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Teufelskreis der Niederlage

Auch bei den Australian Open scheidet Nicolas Kiefer in der ersten Runde aus. Was ihm derzeit besonders fehlt, ist Spielpraxis. Doch die bekommt er nur, wenn er endlich auch mal wieder gewinnt

aus Melbourne DORIS HENKEL

Mittendrin ist er, Nicolas Kiefer, mittendrin in einem Irrgarten aus Glas. Setzt überaus vorsichtig einen Fuß vor den anderen, streckt die Arme aus, um sich nicht wehzutun, und tut sich trotzdem weh; die nächste Wand kommt bestimmt. Sieht sein Spiegelbild, erkennt sich und auch wieder nicht, und weiß, dass man ihn von draußen beobachten kann. Das macht die Sache nicht leichter. Seit Monaten geht das so, nach wie vor ist kein Ausgang in Sicht, und allmählich nimmt die Suche verzweifelte Züge an. Er weiß nicht weiter, das ist nicht zu übersehen.

Die Art, wie er gestern in Melbourne in der ersten Runde der Australian Open gegen den Tschechen Jiri Novak verlor, lässt diesen Schluss zu: 1:6, 0:6, 4:6 in eindreiviertel Stunden, dabei allenfalls im dritten Satz ein gleichwertiger Gegner. Manchmal tat es fast weh, ihn so vorsichtig, so völlig mutlos spielen zu sehen, und dabei war das schon eine kleine Steigerung gegenüber dem Auftritt in der vergangenen Woche in Sydney bei der Niederlage gegen Rainer Schüttler.

Als Außenseiter war Kiefer in die Begegnung mit dem soliden, an Nummer 26 gesetzten Novak gegangen, und als er nach einer längeren Regenpause endlich ein bisschen besser spielte, war es längst zu spät. Novak meinte hinterher, er habe ja schon oft gegen Kiefer gespielt, aber so schwach wie diesmal sei der noch nie gewesen. Mit jenem Kiefer, der vor genau zwei Jahren als Nummer vier der Welt nach Australien gekommen war und der damals dachte, jetzt gehöre er dazu, kann man ihn kaum noch vergleichen, und das tut er selbst auch nicht mehr. „Mit diesem Spiel kann ich mich nicht identifizieren“, sagt Kiefer, „ich weiß, wie gut ich mal gespielt habe, und ich weiß, dass ich das kann.“ Fest steht, dass er nach einer leichten Formverbesserung im Sommer vergangenen Jahres erneut an Boden verloren hat und dass jener Rückstand, der aus einer Serie von Verletzungen aus den Jahren 2000 und 2001 resultiert, längst nicht aufgeholt ist.

Seit Anfang Oktober hat er kein Spiel mehr gewonnen – eine demoralisierende Bilanz. Und zurzeit sieht es so aus, als ziehe jede einzelne der Niederlagen zwangsläufig die nächste nach sich. Bei der Antwort auf die Frage, wann er zum letzten Mal so gespielt habe, wie es seinen Fähigkeiten entspreche, denkt er einen Augenblick nach und sagt dann: „Vor anderthalb Jahren.“ Es ist eine Aussage von frappierender Klarheit, die mehr als nur eine Ahnung vermittelt, wie oft er in dieser Zeit vor die Wände aus Glas gelaufen ist.

Aber wie soll das nun weitergehen? Er brauche Geduld, vor allem Geduld, meint Kiefer, er müsse viele, viele Bälle schlagen und jede Gelegenheit zur Spielpraxis nutzen. Es ist eine böse Krux: Wie soll man Spielpraxis sammeln, wenn man in der ersten Runde verliert, und wie soll man in der ersten Runde gewinnen, wenn man keine Spielpraxis hat? Dass er in dieser Form eher keine große Hilfe für die deutsche Mannschaft beim Davis Cup Anfang Februar gegen Kroatien sein dürfte, ist ihm anscheinend klar, desgleichen, dass möglichst bald nach der Rückkehr nach Deutschland ein Gespräch mit dem neuen Davis-Cup-Kapitän Michael Stich fällig ist. Er sagt, einstweilen sei er zwar im Team, aber man werde sich zusammensetzen, um die beste Lösung zu finden. Es hört sich nicht so an, als wolle er in dieser Angelegenheit den Trotzigen geben. Vielleicht will er sich ersparen, den Irrweg im gläsernen Garten ausgerechnet im hellen Licht der Scheinwerfer im Davis Cup zu gehen. Mit feixenden Leuten drum herum, die alle dabei zusehen, wie er wieder mal nicht weiter weiß.

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