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Flotte Entenjagd

Spezialgebiet AusländerInnen-Berichterstattung: Der schwedische Pressedienst „Quick Response“ stellt das richtig, was andere verdrehen

„Es ist nicht unsere Hauptaufgabe, Fehler zu finden. Wir wollen in Frage stellen.“

aus Stockholm REINHARD WOLFF

„Einwandererkinder 635-mal öfter im Krankenhaus!“ Mit dieser dicken Überschrift machte Schwedens auflagenstärkste Tageszeitung Aftonbladet kürzlich einen Bericht darüber auf, wie wenig ausländische Eltern angeblich auf die Gesundheit ihrer Kinder achteten, wie gefährlicher diese daher lebten und nicht zuletzt, wie sehr diese damit auch das schwedische Gesundheitssystem in Anspruch nähmen. „Teile von Einwanderergruppen stehen auf dem gleichen Niveau, wie wir es in den dreißiger Jahren in Schweden hatten“, malte eine anonyme Quelle passend dazu schwarz.

635-mal öfter? Eine unwahrscheinliche Zahl. Doch Aftonbladets JournalistInnen schienen eine sichere Quelle zu haben: einen Bericht, der auf der Internetseite der Sozialverwaltung der Stadt Stockholm veröffentlicht worden war. Ein Fall für „Quick Response“ – einer Art Pressebüro, das die Berichterstattung der schwedischen Medien zum Thema AusländerInnen und Segregation überwacht, im Zweifel erst mal alles in Frage stellt und das Resultat der eigenen Recherchen auf der Internetseite (www.quickresponse.nu) und über E-Mail-Newsletter verbreitet. So schnell wie möglich, wenn’s geht noch am gleichen Tag, um die falschen Zahlen, Fehlinterpretationen oder glatten Unwahrheiten im Nachrichtenuniversum möglichst erst gar nicht so recht wirken zu lassen.

Gar nicht so viel Arbeit bedurfte es herauszufinden, was in dem Artikel über Einwandererkinder falsch gelaufen war. Der zitierte Bericht mit der ominösen Zahl „635“ bezog sich gar nicht auf Schweden, sondern auf Großbritannien. Er war nicht neu, sondern ein paar Jahre alt. Die Zahl 635 war ein Tippfehler, der bei der Übersetzung des englischsprachigen Originals passiert war, wo tatsächlich 63 % stand. Das %-Zeichen und die Ziffer 5 liegen eben auf der gleichen Computertaste – und niemand hatte es bemerkt.

„Klar, man kann es auf den menschlichen Faktor schieben, aber ein wenig merkwürdig ist das schon, wenn Journalisten das einfach so übernehmen“, sagt Jenny Berggren, die zusammen mit drei anderen KollegInnen die Redaktion von „Quick Response“ bildet. Die Anfänge dieses Pressediensts gehen auf eine Initiative der jetzigen Wirtschaftsministerin Mona Sahlin zurück, die 1997 für Schweden das „Europäische Jahr gegen Rassismus“ koordinierte.

Eine staatliche Stiftung und der Jugendverband des schwedischen Roten Kreuzes fanden sich als Geldgeber für die spezielle Überwachung der AusländerInnen-Berichterstattung in den Medien. Abgesehen davon, dass die „Quick“-Mitarbeiter aktuelle Meldungen und Berichte auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, haben sie auch eigenes Zahlenmaterial zu stetig wiederkehrenden Fragen oder Debattenthemen zusammengestellt. So kann man unter „Fragen und Antworten“ zu rund 80 häufig wiederkehrenden Debattenthemen auf der Internetseite beim Stichwort „Sozialhilfe“ lesen, was hinter dem Mythos, weitaus mehr AusländerInnen als SchwedInnen seien SozialhilfeempfängerInnen, tatsächlich steckt: dass dieses Problem zwar besteht, das Verhältnis aber „nur“ 17 gegenüber 3 Prozent beträgt und hinter dieser hohen Zahl vor allem AusländerInnen über 65 Jahre stehen, weil diese noch keine Rentenberechtigung aufbauen konnten.

Man erhält Informationen über die speziellen Probleme von AusländerInnen auf dem Arbeitsmarkt und kann sich mit weiterführenden Links zu ausführlicheren Studien weiterklicken. Diese Links zu Forschungsberichten und Statistikmaterial sollen die ursprüngliche Intention ersetzen, eine eigene Statistikbasis über alle möglichen Aspekte der in Schweden lebenden AusländerInnen aufzubauen. Diese Pläne hatten sich nämlich als zu zeitraubend und nicht unbedingt notwendig erwiesen.

Stattdessen verfasst „Quick Response“ neben der täglichen Auswertung von Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehbeiträgen lieber eigene vergleichende Studien zu einigen als wichtig eingeschätzten Einzelthemen, zu denen es noch kein oder wenig Material gibt. Themen, die ein Schlaglicht auf die unterschiedliche Mediengewichtung von Ereignissen werfen sollen, je nachdem, ob im Inland oder im Ausland geborene AkteurInnen hinter ihnen stehen.

So lautet das Fazit bei der Berichterstatttung über Vergewaltigungsdelikte: Während bei jugendlichen schwedischen Tätern gern „entschuldigend“ auf Alkoholeinwirkung und Versäumnisse von Erwachsenen hingewiesen wurde, mussten ausländische Jugendliche damit rechnen, gleich als potenzielle permanente Vergewaltiger abgestempelt zu werden. Da wurde deren „anderes“ Bild schwedischer Mädchen und Frauen diskutiert und von „tausendjährigen Kulturmustern“ gefaselt, die es jetzt „in schwedischen Vororten zu brechen“ gelte.

Im Schnitt einmal wöchentlich besuchen „Quick Response“-RedakteurInnen eine Schule oder eine Universität, um mit Schülern und Studenten zu diskutieren. Ein gängiges Bild, das diese von Journalisten haben: Die schreiben sowieso nur das, was ihnen ins Konzept passt und nehmen es mit der Wahrheit ohnehin nicht so genau.

Jenny Berggren sagt dazu: „Wir ertappen uns dann oft dabei, dass wir regelrechte Verteidigungsreden auf die Medien halten. Es ist nämlich nicht unsere Hauptaufgabe, Fehler zu finden und die Redaktionen zu einer Verteidigungshaltung zu bringen. Wir wollen mehr in Frage stellen und diskutieren.“ Eine Zielrichtung, der sich zu „Quick Response“ befragte JournalistInnen und Redaktionen anschließen – offiziell begrüßen sie natürlich, dass die meist mit „Zeitdruck“ und „Eifer des Gefechts“ entschuldigten Versäumnisse endlich mal unter die Lupe genommen werden.

Beim Thema „635fach“ ging es dann aber nicht mehr darum, Fragen zu stellen, sondern auf regelrechte Schlamperein bei den Recherchen hinzuweisen. Hier hatte das gar nicht so furchtbar aufwändige „Quick Response“-Nachhaken zum Ergebnis, dass Kinder mit ausländischen Familienhintergrund nicht mehr, sondern weniger oft wegen Unglücksfällen beim Arzt und im Krankenhaus landen. Und dass die einzigen markanten Unterschiede zwischen den Sozialgruppen, nicht aber beim Herkunftsland zu finden waren.

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