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Not, Tugend und Praxis

Kulturräume ohne Finanzspielräume: Sachsens intelligente Kulturfinanzierung, die auch schon mal als Modell für andere Bundesländer galt, steht mit dem neuen Haushalt vor ihrer Bewährungsprobe

Die Hauptgefahr für das Kulturraumgesetz liegt im kommunalen Egoismus

von MICHAEL BARTSCH

Sachsen sind bekanntlich „helle“ und überhaupt die Größten – zumindest innerhalb ihres Freistaates. Unbestreitbar aber bleibt, dass sie 1993 aus der Not einer auslaufenden Übergangsfinanzierung des Bundes die Tugend eines anerkannt intelligenten Kulturfinanzierungsmodells machten. Sonst hätte der deutschlandweit dichtesten und bis heute nach Pro-Kopf-Ausgaben teuersten Kulturlandschaft Deutschlands der Kahlschlag gedroht. Die Idee dazu brachte ein junger, cleverer und weltgewandter „Wessi“ mit, Matthias Theodor Vogt, zuletzt für die PR der Bayreuther Festspiele verantwortlich. Sein Zauberwort hieß Kulturräume, und Ende 1993 verabschiedete der Landtag nahezu einstimmig ein gleichnamiges Gesetz. Zu der üblichen Stützung kommunaler Kultureinrichtungen durch bilateral ausgehandelte Landeszuschüsse kam damit eine dritte tragende Säule hinzu. Kulturräume als Pflichtzweckverbände mit einer gemeinsamen Kasse wurden gebildet. Neben den drei Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz sind die Landkreise und kreisfreien Städte in acht ländlichen Kulturräumen zusammengeschlossen. Sie zahlen eine Umlage in die gemeinsame Kasse des jeweiligen Raumes. Das Land legt einen aufgeschlüsselten Betrag dazu. Der Konvent des Kulturraumes entscheidet selbstständig, welche regional bedeutsamen Einrichtungen er fördern will.

Ein solidarisches Finanzierungsprinzip also, wobei das bundesweit einmalige Gesetz den Kommunen die Kulturpflege als Pflichtaufgabe zumutet. Mit einem festgelegten Gesamtzuschuss des Freistaates von jährlich „mindestens“ 150 Millionen Mark an die Kulturräume entstanden drei Förderebenen: allein von den Gemeinden finanzierte lokale Bibliotheken, Museen oder Kulturhäuser; vom Kulturraum mitfinanzierte Regionaleinrichtungen; schließlich die vorwiegend in Dresden konzentrierten Theater, Orchester und Kunstsammlungen in Landesträgerschaft.

Den Persilschein der Verfassungsmäßigkeit bekam das Gesetz nur unter der Auflage einer zehnjährigen Befristung. Es läuft also 2004 aus, weshalb seit Monaten um eine Anschlussregelung gerungen wird. Das Wissenschafts und Kunstministerium möchte noch vor den im Frühjahr beginnenden Beratungen zum neuen Doppelhaushalt 2003/04 einen Gesetzentwurf vorlegen. Ob er notwendig und sinnvoll ist, wurde in den letzten Jahren vor allem von Lokalfürsten in den Landratsämtern in Frage gestellt. Mittlerweile wagt aber niemand mehr ein öffentliches Nein. Die Gegenpositionen von Landkreistag und Finanzministerium setzten also auf eine weitere Aushöhlung der ohnehin brüchig gewordenen Prinzipien des Gesetzes.

Denn zu viele Hoffnungen des Jahres 1993 haben sich nicht erfüllt, zum Beispiel die auf eine Kräftigung der Kommunalfinanzen, die eine Kulturpflicht per Landesgesetz erübrigen könnte. Auch der Allzwecktröster „bürgerschaftliches Engagement“ hat mangels Vermögen oder Zeit nicht gegriffen. Vor allem aber intendierte das Gesetz neben seinem bewahrenden Charakter auch die Schaffung neuer „bürgernaher, effizienter und wandlungsfähiger Strukturen“, wie es in der Präambel heißt. Diese natürlich kostengünstigeren Strukturen sollten dann auf absehbare Zeit finanzierbar bleiben.

Davon aber kann trotz zahlreicher Schrumpfungsprozesse und Fusionen nicht die Rede sein. Die Väter des Gesetzes sehen es vor allem für Bühne und Konzert als Erfolg an, dass Spielstätten und Einrichtungen speziell im ländlichen Raum erhalten blieben, auch wenn sie jetzt nur noch von fusionierten Wandertheatern und bis an die Grenze belasteten Reiseorchestern bespielt werden. Das heißt im Landesdurchschnitt etwa ein Orchester und ein Theater je Kulturraum mit 300.000 bis 700.000 Einwohnern. Angesichts der auch für ein neues Kulturraumgesetz zu erwartenden Kostendeckelung bei weiter steigenden Tarifen und Sachkosten ist eine weitere Verschärfung des Einsparungsdrucks zu erwarten. Haustarife sind längst üblich. Der Chemnitzer Theaterintendant Rolf Stiska hat deshalb gefordert, die ab 2004 gültigen Strukturen mit dynamisierten, also an die Kostenentwicklung angepassten Fördermitteln zu sichern.

Das dürfte bei einem trotz des Solidarpaktes mittelfristig kleiner werdenden Landeshaushalt eine Illusion bleiben. Die Hauptgefahr für die ursprünglich stabilisierende Wirkung des Kulturraumgesetzes sieht der von der CDU kommende Kunstminister Hans Joachim Meyer jedoch im „kommunalen Egoismus“. Preis für die formelle Kulturpflicht der Kommunen war, dass die Kulturraumkonvente nach wie vor autonom entscheiden, was sie wie hoch fördern möchten. Theoretisch ist der Kulturpflicht aber mit einer einzigen Mark Umlage Genüge getan. Das Land kann das Engagement vor Ort nur stimulieren, indem es nach dem Kofinanzierungsprinzip seinen Zuschuss mit den Eigenbeiträgen der Kulturraummitglieder verkoppelt.

Das Kulturraumgesetz läuft also ins Leere, wenn die Kommunalvertreter nicht wollen. Und um deren Neigung zur Kulturfinanzierung, ja um den kulturellen Horizont der im Konvent vertretenen Lokalfürsten ist es merklich schlechter bestellt als 1993. Vor allem sinkt die Bereitschaft, die kostenintensiven tradierten Stadttheater und Orchester zu fördern. Längst wird unter Sparzwängen die so genannte Hoch- gegen die Breiten- oder Soziokultur ausgespielt, ungeachtet des vorzufindenden Formen- und Angebotswandels und des eher wachsenden Publikumszuspruchs, den die teureren Kulturformen erfahren. Kern des Problems ist eben überall die Frage der Reichtumsverteilung und der Prioritätensetzung in öffentlichen Haushalten. Die Auspizien in Sachsen für die bevorstehenden Verhandlungen sind nicht nur wegen der Haushaltlage denkbar ungünstig. Denkt man die Agenda des ehemaligen Finanzministers und designierten Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) zu Ende, läuft Kulturpflege in Sachsen auf ein Zentraltheater und einige Heimatstuben hinaus. Entsprechend nüchtern fällt die vorläufige Bilanz von sieben Jahren Praxis des Kulturraumgesetzes in Sachsen aus: Es hat den Erosionsprozess nur verlangsamen können. „Aber auch das ist doch schon ein Erfolg“, murmelt augenrollend Kunstminister Meyer.

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