harald fricke über Shopping: Chaos in der Hosentasche
Ob Butter oder Nudeln – früher war alles klar, es gab nichts zu rätseln. Der Euro macht selbst Langkornreis interessant
Nein, es wird nichts, so geht es nicht. Unmöglich. Zwei Wochen sind vergangen, seit ein jeder sich das neue Spaßgeld bei der Bank seines Vertrauens abgeholt hat. Das war aufregend, das brachte in den Schlangen vor den Ausgabeschaltern kurzweilige Gespräche mit Leuten, die man sonst nie kennen gelernt hätte. Schön auch die Idee einer Frau um die siebzig, die ihr Sparkonto in Euro übertragen lassen wollte und gar nicht einsehen mochte, dass ihre Bank die Umstellung automatisch ausgeführt hatte – schließlich war es ja ihr erspartes Geld, da wollte sie schon selber bestimmen, wie aus ihren Märkern Euros werden.
Nun ist der Euro aber nicht bloß dazu gedacht, dass man mit ihm Münzwertraten und Kopfrechnen spielt oder über die Ikonografie österreichischer Centstücke philosophiert. Das Geld soll ja vor allem ausgegeben werden. Das aber gestaltet sich für eine ganze Menge Leute doch viel schwieriger, als es Senta Berger und Günther Jauch im Fernsehen vorher so schön erklärt hatten. Kaum war die Werbung mit Meerschweinchen auf Super-8-Filmen im Siebzigerjahreambiente verschwunden, mussten ein Großteil meiner Bekannten und auch ich bekennen, dass wir uns die urlaubsähnliche Heiterkeit, mit der sich jetzt angeblich in der noch fremden Währung zahlen lässt, doch etwas heiterer vorgestellt hatten.
Stattdessen sind die Zweifel am Wofür und am Wieviel größer geworden. Eine Freundin erzählt, dass sie sich seit Silvester drei Mal Kontoauszüge ausgedruckt hat, weil ihr der Lohnbetrag auf dem Zettel zu niedrig vorkam und sie die Zahl deshalb für ein Versehen hielt. Ein befreundeter Galerist will andauernd Taxi fahren, weil er die Summe auf dem Taxometer für ein unglaublich großzügiges Sonderangebot hält. Nur ein Bekannter, der die Hälfte seiner Zeit in den USA lebt, kommt mit den Umtauschkursen klar: Er rechnet jetzt einfach eins zu eins, wie in New York, so teuer ist für ihn das Leben in Euroland.
Das mir niemand den Ernst dieser Situation unterschätzt! Zwar ist der Euro als Thema in den Medien „durch“, wie wir Journalisten so sagen. Aber selbst wenn jetzt alle nach der endgültigen Kanzlerkandidatenfestlegung der CDU/CSU ziemlich gut abstoibern können – die Kaufkraft zählt, so läuft das Business. Mein Wille zur Kaufkraft ist dagegen einer enormen Kaufschwäche gewichen. Obwohl mich mein Faible für Mathematik durch das Abitur gebracht hat, ziehe ich an der Kasse bei Kaiser’s die Stirn in Falten, wenn es ans Bezahlen geht, und drehe jeden Cent noch einmal behutsam um, damit ich mich vergewissern kann, dass das Wechselgeld stimmt. Dann murren die hinter mir wartenden Kunden, und prompt fühle ich mich wie ein dummer Spießertourist, der sich in Italien beim Schlachter für zwei Scheiben Mortadella auf 155 Lire genau herausgeben lässt. Dabei bin ich doch neuerdings auch in Venedig mit meinen Euromünzen zu Hause – oder bin ich shoppingtechnisch vielleicht eher fremd im eigenen Land?
Natürlich gibt es Alternativen. Seit dem 1. Januar ist in Deutschland die Zahl der Kreditkarten gestiegen. Eurocard hat zehn Prozent mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum ausgestellt, bei Visa sind es sogar zwanzig Prozent mehr. Wenn sich die Bargeldlos-User da nur nicht täuschen: Erstens schaut man erfahrungsgemäß noch weniger auf die Beträge, die elektronisch abgebucht werden; und zweitens lernt man die Finessen der neuen Währung auf diesem Wege noch langsamer kennen. Insofern ist das elektronische Portmonee auch eine reaktionäre Abwehr des Neuen, eine Ignoranz gegenüber den Veränderungen. Immerhin, ein paar private Geldinstitute können von dieser Angst vor dem Chaos in der Hosentasche ganz gut leben.
Dabei mag die Kreditkarte zwar ein Zeichen für die Beherrschung weltweit kompatibler Geldgeschäfte sein, solange es zum Beispiel Rolex-Uhren, Mobilfunkgeräte, Burlington-Socken oder McIntosh-Toffees in den entsprechenden Flughafenshops betrifft. Mit dem Euro ist der persönliche Zugang zum Handel jedoch im unmittelbaren Umfeld wieder reizvoll geworden. Über die Jahre hat man sich daran gewöhnt, Designernudeln oder Energydrinks ebenso wie die simple Packung Langkornreis in D-Mark zu begleichen. Das half, innerhalb einer ebenso individuellen wie willkürlichen Warenansammlung nach dem einen Geld als „Äquivalentform im Austauschprozess“, wie es bei Marx heißt, zu differenzieren. Diese Gewissheit ist mit der Umstellung auf Euro dahin. Nun wird selbst die Butter wieder interessant, weil man sich ihren Wert aufgrund des Produkts vorstellen muss, das man kaufen will – im Zweifelsfall tut’s auch Margarine. Anders gesagt: Neues Spiel, neues Glück! Nicht am Schmuckstand in Marrakesch, sondern beim Bäcker um die Ecke.
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