Radikal auf der Suche

Klaus-Dieter Tangermann war ein engagierter Macher, der einfache Wahrheiten verachtete

von STEFAN SCHAAF

Fast jeder Mensch hat eine Periode im Leben, die ihn sehr geprägt hat. Oft sind dies im Ausland verbrachte Jahre, in Klaus-Dieter Tangermanns Fall seine Zeit als DAAD-Stipendiat in Madrid, Anfang der 70er-Jahre während der Endphase des Franco-Regimes und noch einmal 1976 und 1977. Er brachte nicht nur eine Vorliebe für spanische Kartoffel-Tortilla von dort mit, sondern auch die Lehrzeit politischer Debatten mit der sozialistischen und anarchistischen Untergrundbewegung gegen Franco. Dort lernte er, Chancen wie Grenzen politischer Radikalität zu erkunden und diese theoretisch zu begründen.

Im Herbst 1977 kehrte er gerade von einer weiteren Spanien-Reise zurück, als er im Autoradio vom Tod der Stammheimer RAF-Gefangenen hörte. Damals fanden in verschiedenen Städten, zunächst noch getrennt voneinander, die ersten Überlegungen zur Gründung einer linken Tageszeitung statt.

Der Tunix-Kongress im Januar 1978 war der Urknall für ein bundesweites gemeinsames Zeitungsprojekt. Ende 1978 wurden die ersten Satzgeräte gekauft. Trotz der geschickten, von ein paar klugen Köpfen ausgetüftelten Firmenkonstruktion musste einer den Kopf für die Kaufsumme hinhalten: Klaus-Dieter zögerte nicht. Er dachte damals, dass sich genug professionelle Journalisten finden würden, die bei einem solchen Projekt einsteigen würden, wenn es denn mal auf dem Markt wäre. Doch die taz wurde am Ende von ihren Gründern nicht nur konzipiert, sondern auch voll geschrieben.

Nicaragua nahm schon in der ersten Nullnummer eine zentrale Bedeutung ein. Klaus-Dieter wollte es noch genauer wissen und machte sich selbst auf den Weg nach Zentralamerika. Ende 1980 entstand aus dem Material seiner Reisen in die Region das taz-Journal Lateinamerika, das nicht nur der Solidaritätsbewegung Material für ihre Debatten lieferte, sondern auch dank mehrerer Auflagen mithalf, dass die taz ihre erste (oder war’s gar schon die zweite?) Finanzkrise überwand. Dank Klaus-Dieter Tangermann berichtete keine andere deutsche Zeitung so umfangreich über die Kämpfe in Mittelamerika wie die taz. Welches andere Blatt hatte dort zeitweise gleich ein halbes Dutzend Mitarbeiter? Doch in jener konfliktreichen Zeit erntete er nicht nur Lob dafür, sondern provozierte mit seiner oft kompromisslosen Haltung unzählige hitzige Debatten. Viele innerhalb und außerhalb der taz hielten die Kampagne „Waffen für El Salvador“ für eine Vereinnahmung der Zeitung durch eine Guerillabewegung, aber die FMLN erlebte es anders, wie Schafik Handals Worte belegen.

Für Klaus-Dieter war die Kampagne auch ein Versuch, in Deutschland eine Debatte darüber zu erzwingen, was es bedeutet, der Brutalität der Todesschwadrone nichts entgegenzusetzen. Genauso kompromisslos suchte er die Haltung der Zeitung zu anderen Fragen, wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt oder den Umbrüchen in Osteuropa auszudiskutieren.

Mitte der 80er-Jahre verließ Klaus-Dieter die taz, um seine Dissertation über die Strategie der salvadorianischen Guerillla fertig zu stellen. Über Monate vergrub er sich in seinem Arbeitszimmer, doch abends um elf tauchte er in unserer Wohngemeinschaftsküche auf, um zu hören, was es sonst Neues gab.

Die Redaktion der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Prokla und die Diskussion über eine den Grünen nahe stehende Stiftung, die ein Forum für die immer weiter auseinander strebenden Flügel der Linken zu werden versprach, beschäftigte ihn Ende der 80er-Jahre. 1992 ging er für die Stiftung Buntstift wieder nach Nicaragua.

Am Ende seiner Zeit dort hoffte er, die begonnene wissenschaftliche Arbeit über die Frage, wie eine ihres Namens würdige Demokratie in Lateinamerika überhaupt verwirklicht werden kann, in Kuba fortsetzen zu können, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Stattdessen verschlug ihn 1997 ein Projekt der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) nach Kamerun. Es war für ihn eine schwierige und oft einsame Zeit in einer schwer zu deutenden Umgebung. Nur seine nie versiegende Neugier und Besuche seiner Frau sowie seiner Freunde halfen ihm in diesen Jahren.

Seit Frühjahr des vergangenen Jahres lebte er in Kolumbien, abermals für die GTZ und wieder in einer vertrauteren Kultur.

Er war mit seiner Frau Barbara auf der Rückreise von einem Weihnachtsurlaub in Spanien, als sein Herz versagte.

Der Autor lebte insgesamt sieben Jahre in zwei Wohngemeinschaften mit Klaus-Dieter Tangermann zusammen und arbeitete von 1981 bis 1985 mit ihm in der Auslandsredaktion der taz