Sozialwissenschaftlerin: Brechmittel schützen deutsche Dealer

taz: Lässt sich die Drogenkriminalität durch Brechmitteleinsätze verringern?

Laetitia Paoli: Nein. Solange für verbotene Substanzen eine Nachfrage besteht, wird es auch ein Angebot geben. Das Verbot dieser Substanzen verspricht hohe Gewinne, die zum Teil illusionär sind. Aber sie verlocken vor allem jene Menschen in unserer Gesellschaft, die aufgrund ihres prekären Aufenthaltsstatus keinen legalen Job finden können.

Inwieweit sind die Gewinne illusionär?

Sicher gibt es Leute, die sehr viel Geld im Drogenhandel verdienen. Aber die meisten Anfänger neigen dazu, das zu überschätzen. Und sie unterschätzen die Risiken, im Gefängnis zu landen. Das sind die so genannten „kleinen Fische“, die Straßendealer, die früher oder später Probleme mit der Justiz bekommen und für die kurzfristigen Gewinne einen hohen Preis zahlen.

„Illegale, schwarze Dealer“ gelten in der öffentlichen Diskussion als Prototyp des Drogenhändlers. Welche Rolle haben sie auf dem Drogenmarkt?

Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus besetzen die gefährlichs-ten Positionen. Der Straßenhandel wurde bis Anfang der neunziger Jahre von Abhängigen betrieben, die selbst harte Drogen konsumierten. Jetzt findet man hauptsächlich Flüchtlinge, und die sind bereit, ein großes Risiko einzugehen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Die meisten nehmen selbst keine Drogen. Sie werden von den größeren Händlern bevorzugt, weil sie zuverlässiger sind. Die meisten der Straßendealer sind jung und meistens gebildet. Sie sind mit dem Traum von einem besseren Leben nach Europa eingewandert, haben hier aber gemerkt, dass alle Wege, um ihren Traum zu realisieren, verschlossen sind.

Wer profitiert davon, dass sie das Risiko des Drogenhandels auf sich nehmen?

Zunächst einmal muss man ein Missverständnis ausräumen. Ein Ergebnis meiner Studie ist, dass es nicht einige wenige große Händler gibt, die den Markt beherrschen und die Straßendealer ausnutzen. Gerade wegen der Illegalität der Drogen gibt es keine Tendenz, große Unternehmen zu entwickeln. Aber: Die Verfolgungsbehör-den kümmern sich fast nur um die offene Drogenszene. Objektiv profitieren von dieser Lage diejenigen, die ihr Geschäft nicht in der offenen Drogenszene betreiben. Das sind meistens Einheimische. Es sind Leute, die unauffälliger agieren können, die Kontakte haben, oder die Cafés und Diskotheken kennen, wo jemand Drogen verkaufen oder kaufen kann. Auch sozial gesehen sind es damit die Konsumenten aus besser situierten Gesellschaftsschichten, die noch weiter aus dem Blickfeld geraten.

Führt erst die Tatsache, dass es sich bei den Straßenhändlern oft um Schwarze handelt, dazu, dass der Einsatz lebensbedrohender Mittel für legitim befunden wird?

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt sicher eine Art „ethnic profiling“ bei der Polizei. Die Straßenhändler kommen tatsächlich aus bestimmten ethnischen Gruppen. Aber es ist auch wahr, dass jemand, der zu dieser ethnischen Gruppierung gehört, ein viel höheres Risiko trägt, verdächtigt zu werden. Im Gegensatz dazu werden die Deutschen eher als Konsumenten gesehen und entsprechend milder von der Polizei behandelt.

Auf der anderen Seite haben aber die Flüchtlinge, die auf der Straße dealen, auch größere Schwierigkeiten, sich zu verteidigen. Sie sprechen kaum deutsch, und die meisten haben kein Geld für einen guten Anwalt. Selbst wenn sie nicht absichtlich von der Polizei schlechter behandelt werden, gibt es objektiv und praktisch Diskriminierung. Sie werden viel häufiger kontrolliert und kennen sich nicht mit dem deutschen Justizsystem aus.

Wie wird der Drogenmarkt auf die Brechmitteleinsätze reagieren?

Die Tendenzen zur Aufspaltung des Drogenmarktes werden beschleunigt. Der Markt wird versuchen, undurchsichtiger zu werden. Zu der Strategie, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen, gehört dann sicher auch, dass die offene Drogenszene kleiner werden wird. Die Zersplitterung und das Untertauchen von Handel und Konsum des harten Drogenmarktes erschweren aber erheblich das Angebot von Hilfe und Therapie an die Drogenabhängigen.

Wäre damit das Ziel des Hamburger Senats nicht erreicht?

Wenn Repression kein Selbstzweck sein soll, sondern das Ziel hat, Drogenkonsum zu reduzieren, wurde das bis jetzt nicht erreicht. Der Versuch, den weit verbreiteten Drogenkonsum nur mit schärferer Repression zu stoppen, gleicht offensichtlich einer Sisyphos-Arbeit, die nichts bringt. Interview: M. Oulios